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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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dass du in der DDR unbeschadet groß wirst, dass du nicht in irgendwelche Gewissenskonflikte stürzt und dir vielleicht durch ein paar unbedachte Äußerungen den Rest deines Lebens verdirbst und nicht studieren darfst. Du weißt doch, wie es war.«
    »Oh, ja«, sagte ich. »Zu viele Jasager. Und Sie waren einer davon.«
    Er zuckte zusammen.
    »Verzeihen Sie«, sagte ich leise.
    »Ich wollte meinen Beruf ausüben, Clara. Ich war mit Leidenschaft Lehrer. Ich wollte euch zu aufrichtigen jungen Menschen erziehen. Was hätte es genutzt, wenn ich mich aufgelehnt hätte? Und ja, selbstverständlich, ich glaubte an die moralische Überlegenheit des Sozialismus.«
    »Ach, Scheiße«, sagte ich. »Wie soll etwas moralisch überlegen sein, das auf den Lügen seiner Mitglieder gründet.«
    »Es ist vorbei, Clara«, sagte Rauh.
    »Nein«, sagte ich. »Sonst würde meine Mutter wohl noch leben.«
    »Du glaubst, dass die Ereignisse von damals mit ihrem Tod zu tun haben, nicht wahr?«
    Ich nickte resigniert. »Ich weiß es nicht. Aber je öfter ich darüber
nachdenke, desto wahrscheinlich scheint es, dass sie ermordet wurde, weil sie ihre Vergangenheit nicht ruhen ließ.«
    Cornelius Rauh keuchte ein wenig. »Ich bin nicht mehr der Jüngste«, sagte er mit resigniertem Lächeln. Er holte tief Luft.
    »Brauchen Sie etwas?«
    »Nein«, sagte Rauh. »Aber lass mich weiter erzählen. Es fällt mir nicht leicht, so viel zu reden. Auch deinen Vater holten sie eine Woche nach der Verlobung mit deiner Mutter.«
    Ich stutzte. »Eine Woche nach der Verlobung? Sie war so bald nach Paulsen schon wieder verlobt?«
    Rauh nickte. »Man konnte damals in einer Kleinstadt nicht ständig mit einem Jungen zusammen sein, ohne dass es Anstoß erregte. Am besten für alle war, man verlobte sich. Genau das taten deine Eltern.«
    »Und eine Woche später holten sie meinen Vater«, nahm ich den Faden wieder auf.
    »Ja«, sagte Rauh. »Das hatte Methode.«
    »Weshalb?«
    »Die politischen Gründe, wie man damals sagte, waren vorgeschoben. Jemand benutzte das System.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Deine Mutter hatte wohl dem Falschen den Kopf verdreht, als sie ihre verrückte Zeit hatte. Es gab da einen Meinhard Laufer. Er ist deiner Mutter hinterhergestiegen. Er war so alt wie Johann Paulsen, sie gingen auch zusammen in die Schule.«
    »Weshalb war er nicht in Gefangenschaft?«, unterbrach ich ihn.
    »Sein Vater war in den zwanziger Jahren ein bekannter Kommunist in Solthaven.«
    »Ja und?«, fragte ich ungeduldig.
    »Meinhard hatten sie an die Ostfront eingezogen. Er lief im Januar 1945 zu den Russen über. Er kam als Besatzer zurück. Er arbeitete hier für die Russen.«
    »Die Russen«, sagte ich abfällig.

    »Verurteile sie nicht so leichtfertig«, sagte er, und ich wusste, dass er nicht nur die Russen meinte, sondern auch sich selbst und dass er bis an sein Lebensende nicht mit dem Land fertig sein würde, in dem ich die ersten 25 Jahre meines Lebens verbracht hatte. Es war nicht meine Aufgabe, ihm den Sinn seines Lebens streitig zu machen. Er hatte es aufrichtig gemeint. Er hatte das Richtige im Falschen getan, dennoch hatte er uns Schüler trotz allem zu menschlichen Wesen erzogen und zu unserer Bildung beigetragen. Er war mit Herz und Seele Lehrer gewesen - und jetzt starb er.
    »Erzählen Sie mir von Meinhard«, lenkte ich ein.
    Er schaute auf den Injektionsständer. Dann drehte er an dem Hals der Flasche, die dort hing.
    »Ich trinke nicht mehr genug«, sagte er. »Das Schlucken fällt mir schwer.«
    Er aß längst kein Brot mehr, er konnte nur noch trinken. Ich wusste, was es bedeutete. Er hatte nicht mehr mehrere Wochen, vielleicht noch eine Woche, vielleicht zwei, wenn er Glück hatte.
    »Dieser Meinhard Laufer hat sich erneut an deine Mutter herangemacht. Das war, als dein Vater dann auch weg war. Sie war dann wohl ein paarmal mit ihm tanzen und das eine oder andere Mal im Theater. Alles harmlose Vergnügungen. Doch nach einem dieser Tanzabende soll er sie vergewaltigt haben.«
    Rauh räusperte sich und kratzte sich an der Nase. Es fiel ihm schwer, darüber zu sprechen, und ich fragte mich, wie er sich gefühlt hatte, als mein Vater es ihm erzählt hatte? Und wie hatte es sich wohl für meinen Vater angefühlt, als meine Mutter es ihm gesagt hatte?
    »Sie glauben es nicht?«, fragte ich in das Schweigen.
    Rauh zuckte mit den Achseln. »Doch, doch. Schon. Ihre damals beste Freundin, deine Schwiegermutter Rena, soll dabei gewesen sein und

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