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Im Zeichen der gruenen Sonne

Im Zeichen der gruenen Sonne

Titel: Im Zeichen der gruenen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Rothe
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hochentwickelte Völker herrliche Bauwerke errichteten. Er war Zeuge gewesen, wie sie die Schrift und die Kunst erfanden, während man es im fernen Europa noch als schick ansah, in ein Fell gehüllt seinem Nachbarn eins mit der Keule überzubraten. Geschichte – hier hatte sie stattgefunden! Ein Jahr war nichts, nur ein winziger Augenblick im ewigen Strom. Hier hatte man Zeit, viel Zeit.
    Wasserbüffel standen versteckt im Ufergebüsch, Esel liefen die erdbraunen Lehmwege entlang, und unzählige Hunde spielten kläffend im Schatten der hohen Dattelpalmen. Hunderte von Vögeln, weiße Reiher, Enten und Tauben schwirrten umher und veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. Drei Feluken, kleine hölzerne Nil-Segelboote mit einem schiefen Mast, kamen gemächlich der Kah entgegen. Der Steuermann des ersten Bootes, ein alter Ägypter, spuckte seine Zigarette in den Fluss, stand auf und winkte herüber.
    »Guck mal!«, witzelte Alex, während er zurückwinkte. »Der hat noch sein Nachthemd an. Da hat er wohl heute beim Aufstehen was vergessen!«
    Pit verdrehte die Augen. »Das ist kein Nachthemd, das nennt man Galabiya. Und es ist ein ganz typisches Kleidungsstück der Ägypter. Sehr praktisch und vor allem so luftig wie dein Hirn!«
    Langsam ging es weiter flussaufwärts, und bald gelangten sie an die Stelle, wo der Nil sich in seine beiden Arme, den Rosetta und den Damietta, teilt. Der Fluss war jetzt breiter, und das schmutzigbraune Wasser schwappte schlammig um den Kiel der Kah.
    »Meine Güte, was für eine Dreckbrühe!«, stöhnte Möhre und hielt sich die Nase zu. Offenbar leiteten alle Städte, die am Ufer des Nils lagen, ihr Abwasser in den Fluss und das roch man auch.
    Pit fotografierte ohne Pause. Eine große Baumwollspinnerei – eine riesige Fabrik mit schwarz qualmenden Schloten kündigte an, dass sich die Kah der Stadt Kairo näherte.
    Und dann sahen sie ihn, den Kairo-Turm, das Wahrzeichen der Stadt. Langsam tauchte der hundertsiebenundachtzig Meter hohe Turm aus einer Wolke von Abgasen auf, die ständig wie eine gigantische Käseglocke über den Häusern hing. So weit das Auge reichte, war alles zugebaut, riesige Wolkenkratzer standen neben winzigen, baufälligen Hütten, dazwischen stachen Hunderte von Minarett-Türmen wie Nadeln in den Himmel. Bis zum Horizont erstreckte sich die Stadt, in der Ferne sahen sie einige Berge – und selbst die waren bebaut. Am Ufer reihte sich ein Hotel an das andere, einige prunkvoll, mit großen Säuleneingängen, Fahnen und reich verzierten Fassaden, andere baufällig, halb eingestürzt, mit eingerissenen Mauern und zerbrochenen Fensterscheiben. Selbst in den Ruinen schienen noch Menschen zu wohnen.
    »Du meine Güte!«, staunte Alex. »Das ist ja Wahnsinn – wie viele Leute leben denn hier?«
    »Weiß keiner so genau!«, antwortete Pit. »Offiziell sind’s sechzehn Millionen, inoffiziell fünfundzwanzig. Kairo ist die größte Stadt Afrikas, weißt du!«
    Und tatsächlich – diese Stadt war ein brodelnder Kessel, abstoßend auf der einen Seite, anziehend, geheimnisvoll und faszinierend auf der anderen. Vom Fluss aus konnten die vier immer wieder einen Blick in die winzigen Gässchen am Ufer werfen. Tief verschleierte Frauen balancierten riesige Gepäckstücke oder Kanister auf dem Kopf. Barfüßige Männer mit einer Galabiya am Leib, deren Farbe man nur noch ahnen konnte, und einem blauen Tuch um den Kopf, saßen im Schatten kleiner, baufälliger Cafés und diskutierten so laut, dass es über den ganzen Nil schallte. Gelangweilte Esel zogen große, bunt bemalte Holzkarren, die über und über beladen waren mit Gemüse, Datteln, Gewürzen oder Ölen. Über die Straße spannten sich Wäscheleinen, auf denen Kleider in allen denkbaren Farben hingen. Kairo, das war ein Rausch an Farben, Formen und unterschiedlichsten Gerüchen, ein Strudel, der die vier gepackt hatte und dem sie, das wussten sie schon jetzt, nicht so leicht entkommen würden.
    Langsam trieben sie auf das Stadtzentrum zu. Ohne Eile trafen sie letzte Vorbereitungen, bevor sie an Land gingen. Möhre packte ihren Kamm ein, Tom überprüfte sein Notebook und steckte es in seinen kleinen Rucksack, Alex setzte seinen Hut auf, und Pit legte einen neuen Film in ihre Kamera ein. Sie waren bereit, es konnte losgehen!
    Da Kairo keinen eigenen Hafen besaß, machte die Kah an der Nilinsel Gesîra fest. Je näher sie dem Ufer kamen, desto lauter drang der Lärm aus den Gassen zu ihnen herüber. Er machte die

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