Im Zeichen der gruenen Sonne
Alex’ Silhouette vor dem gewaltigen Panorama zu erkennen. »Wir vier gehören zusammen, was auch passiert! Was jemand einem von uns antut, das tut er allen an! Und das bereut er früher oder später! Außerdem … jemand passt schon auf uns auf!« Alex deutete nach oben, auf die Sterne. »Die haben Kah-ya geholfen, die werden sich auch was für uns ausdenken!«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Möhres Gesicht. Dann schwiegen sie alle und horchten in die Nacht.
»Zum ersten Mal ist es heute ein bisschen still!«, flüsterte Pit, als wolle sie die Ruhe durch nichts stören.
»TÄÄ – TÄTÄÄÄ – TÄTÄRÄTÄÄÄÄ!!!« Spots, Scheinwerfer, Lichtkegel, bunte, flackernde Lichtpunkte, die über die Außenwände der Pyramiden hetzten und die uralten Bauwerke mal rot, mal blau, mal grün erstrahlen ließen. Dazu dröhnte Fanfarenmusik, majestätisch, hymnisch hallte sie durch Gizeh. Lautsprecherstimmen kreischten in vier verschiedenen Sprachen: »Willkommen, Reisender, am Ufer des Nils. Hier wird die Geschichte lebendig.«
In diesem Augenblick wurden die drei, die auf der Außenwand wie auf einem Präsentierteller hockten, nicht nur von ihren Verfolgern entdeckt, sondern auch von Dutzenden von Touristen, die extra für die berühmte Light & Sound Show aus Kairo nach Gizeh gekommen waren.
»Hülsensack! Ab durch die Mitte!«, brüllte Alex gegen die Lautsprecherstimme und die Musik an. Unter sich konnten sie ihre Verfolger erkennen, die jetzt ebenfalls die Pyramide bestiegen.
Das aufgeregte Publikum bekam an diesem Abend eine ganz besondere Showeinlage präsentiert. Begeistert spendete es den über die Stufen hetzenden sechs Personen reichlich Applaus, aber nur einer, der wie ein Taxifahrer aussah, blieb stehen, um sich zu verbeugen und mit seiner Mütze Geld einzusammeln. Vor allem die lebensechten Stunts, die inszenierte Schießerei, die waghalsige Verfolgungsjagd in schwindelnder Höhe ernteten Begeisterung. Leider war die Show nur kurz. Eine rothaarige Darstellerin, noch reichlich jung fürs Showgeschäft, aber sooo begabt, verlor plötzlich den Halt, stürzte sensationell die Stufen hinunter und landete direkt in den Armen derer, die die Verfolger spielten. Das war perfekt gemacht und erntete spontanen Szenenbeifall. Leider waren die beiden anderen Darsteller, die die Verfolgten spielten, plötzlich verschwunden und kamen nicht noch mal hervor, um sich zu verbeugen. Na ja, Künstler …
Der Jeep raste über die staubige Wüstenpiste durch die Nacht. Durch die dreckigen Scheiben konnte Möhre nur vereinzelt einige Sanddünen in der Dunkelheit erkennen. Sie rieb sich die Beulen und blauen Flecken, die sie sich beim Absturz geholt hatte. Dieser miese, hinterhältige Stein, an den sie sich vorhin bei der Flucht geklammert hatte, war in ihrer Hand einfach zu kleinen Krümeln zerfallen. Einmal auf dem Weg nach unten, gab’s keine Möglichkeit mehr anzuhalten. Sie war von Stufe zu Stufe tiefer gepurzelt, und ihre Hilferufe waren von diesen kreuzdämlichen Touristen mit Applaus beantwortet worden. Jetzt hockte sie auf der Rückbank des Jeeps neben einem wortkargen Araber, der ihr seine Pistole in die Seite drückte. Immerhin waren Pit und Alex entkommen …
»He, Cowboy, nimm mir wenigstens das Rohr aus den Rippen, okay?«
Der Araber gab ihr keine Antwort und blickte stur geradeaus. Im Scheinwerferkegel des Jeeps konnte man die ausgefahrene Sandpiste erkennen, die sich schnurgerade durch die Wüste zog. Ein Wunder, dass sie noch nicht stecken geblieben waren.
»Äh, darf ich wenigstens wissen, wo ich hinkomme?«
Keine Antwort.
»Du mich verstehen – wohin?«
Schweigen.
Möhre sah sich den Mann genau an. Er trug eine Art Uniform, schwere Stiefel, eine braune Militärhose, ein schweres Koppelschloss und eine braune Uniformjacke mit Schulterklappen. An der Brust war ein kleines Namensschild aufgenäht: Yassir en Nâsir.
»Yassir!«, flötete Möhre. »Verrätst du mir, wo ihr mich hinbringt?«
Zum ersten Mal kam Bewegung in den Mann. »Zu unserem Führer, dem großen Kero-Sin!«, zischte er so leise, dass sie allein es hörte.
Kero-Sin?, dachte Möhre. Nie gehört! Aber klingt ziemlich eindeutig nach nichts Gutem. Ich muss hier weg!
»Yassir, ich glaub, mir wird schlecht!«, stammelte sie und presste die Hand auf den Magen. Yassir blickte sie fragend an.
»Das müssen die Süßigkeiten von heute Mittag sein, können wir kurz anhalten?« Er blickte sie prüfend an und schüttelte den Kopf.
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