Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
wie sein Körper auf ihrem lag. Aber sie hielt sich zurück und hoffte nur, dass der Kuss in ihm ein Verlangen nach allem weckte, was sie ihm geben wollte. Und das war wirklich alles.
Als sie aufhörten, um bebend Luft zu holen, sah er ihr fest in die Augen. „Genug bewiesen?“
Sie nickte. „Ich verzeihe dir.“ Sie sah über seine Schulter hinweg zu den Zelten. „Sie können uns wahrscheinlich hören. Bis auf Rhia.“
Sie trugen ihre Decken den Hügel hinab mit ans Ufer, bis sie außer Sichtweite des Lagers waren. Bei dem Gedanken, wieder mit ihm allein zu sein, fing Alankas Herz an, heftig zu klopfen.
Gemeinsam setzten sie sich in den Sand. „Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er. „Nachdem sie deine Seele zurückgebracht hat?“
„Glücklich. Und traurig. Nicht mehr taub. Ich kann wieder fühlen, mir Dinge wünschen.“ Sie warf ihm einen langen Seitenblick zu. „Manche Dinge sogar sehr. Aber ich kann nicht schlafen, und meine Gaben sind bisher nicht zurückgekommen. Der Gedanke daran, einen Bogen zu benutzen, lässt meine Hände zittern. Ich werde bald jagen müssen, um uns mit Fleisch zu versorgen, und wenn ich das nicht kann, finden alle heraus, dass Wolf mich verlassen hat.“
„Wir sind am Meer. Wir können Fische fangen.“ Er senkte die Stimme. „Außerdem esse ich seit dem Tag, an dem du den Hasen geschossen hast, kaum noch Fleisch.“
„Tut mir leid.“ Sie starrte auf das Wasser hinaus und wünschte, es wäre voller Nahrung. „Ich hatte gehofft, dass mein Vater die Ursache all meiner Probleme ist, aber ich nehme an, da steckt noch mehr dahinter.“
„Vielleicht braucht es nur Zeit.“
„Rhia hat gesagt, der Rest von mir muss sich ganz von vorne an den alten Teil gewöhnen. ‚Integrieren‘ war das Wort, das sie benutzt hat.“
„Klingt vernünftig.“
Alanka saß einen Augenblick still da und versuchte sich zuentscheiden, wie sie die Veränderungen in sich selbst in Worte fassen wollte. „Ich habe immer zu jemandem anders gehört – zu meinem Vater oder einem Partner oder meinem Geist oder allen dreien gleichzeitig. Und jetzt könnte ich zum ersten Mal nur ich selbst sein.“
„Gut.“
Sie hörte die Unruhe in seiner Stimme und drehte sich zu ihm um. „Das bedeutet nicht, dass ich nicht mit dir zusammen sein will.“
„Schön.“ Diesmal klang es, als meinte er es ernst.
Die Wärme in seiner Stimme brachte Alanka dazu, ihm zeigen zu wollen, wie sehr sie bei ihm sein wollte, aber sie bremste sich. „Du hast mir einmal gesagt, wo du herkommst, tut ein Mann … diese Dinge nicht mit einer Frau, die er respektiert.“
„Richtig. In Leukos müssten wir verheiratet sein, ehe wir uns küssen, vielleicht sogar ehe wir uns sehen, wenn wir aus einer angesehenen Familie kommen.“
„Wie traurig.“ Sie hörte auf, von ihrer eigentlichen Frage abzulenken. „Bedeutet das, du hattest noch nie eine Liebhaberin?“
„Ich bin nicht gänzlich unerfahren“, sagte er, „aber ich könnte es genauso gut sein.“
„Das verstehe ich nicht.“
Er sah aufs Meer hinaus, aber gen Süden, statt geradeaus nach Osten. „Als ich siebzehn Jahre alt geworden bin, in der Nacht, bevor ich mich der Armee angeschlossen habe, hat mein älterer Bruder mich in ein Bordell mitgenommen.“
Alanka riss die Augen auf. Sie hatte schon gehört, dass es in Velekos und Tiros solche Einrichtungen gab – und im Verborgenen auch in Asermos. Kalindos brauchte so etwas kaum mehr.
„Es war eine Festnacht“, fuhr er fort, „also waren die meisten Huren beschäftigt. Die einzigen zwei, die wir bekommen konnten, waren die Favoritin meines Bruders und ein neues Mädchen, Palia. Palia war noch Jungfrau, und in der Nacht war sie noch nicht gebucht worden, weil der Preis für sie so hoch war.“ Filip stockte.
„Und was ist passiert?“
Er rieb sich den Nacken. „Mein Bruder hat für mich gezahlt, obwohl die Bordellbesitzerin es töricht fand, mich zu ihr zu schicken. Sie hat gesagt, ich solle lieber jemanden mit mehr Erfahrung bekommen. Aber mein Bruder hat getan, als würde er mir ein besonderes Geschenk machen.“ Filip drehte sich zu ihr um. „Bist du sicher, dass du das hören willst?“
Alanka biss sich auf die Unterlippe. „Wenn du es mir erzählen willst.“
Er beugte sich vor und stützte seine verschränkten Arme auf seine Knie. „Ich war nervös. Sie hatte Angst. Ich wollte nicht bei einer Frau sein, die Angst vor mir hatte, also habe ich angeboten, bloß bei ihr zu sitzen, bis die Zeit
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