Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
lasse ihn selbst erklären.“ Sie drückte Rhia den Teller in die Hand und verließ das Zelt.
Rhia nahm sich Brot und Fleisch. Ihr Hunger war stärker als ihre Neugierde. Eine plötzliche Erinnerung an Mareks köstliche pochierte Wachteleier ließ sie aufseufzen. Am liebsten hätte sie geweint.
„Rhia“, sagte Filip vor dem Zelt. „Ich wollte es dir selbst sagen.“
„Du kannst reinkommen. Ich bin angezogen.“
Er öffnete das Zelt, trat aber nicht ein und sah sie auch nicht an. Ihr Vater hatte gesagt, dass Filips Sinn für Anstand selbst für asermonische Begriffe extrem war.
„Ich habe über das nachgedacht, was du letzten Herbst gesagt hast.“ Er sah sie an und richtete seinen Blick dann wieder auf den Boden. „Wie Krähe dich nicht in Ruhe gelassen hat, bis du dich deiner Gabe gestellt hast.“
„Pferd verfolgt dich?“
Er setzte ein entschlossenes Lächeln auf. „Als ich in Asermos von ihm geträumt habe, dachte ich, dein Vater hat mir den Traum eingepflanzt, um mich zu überzeugen, dir zu helfen.“
„Dazu ist er zu ehrlich.“
„Pferd ist wieder zu mir gekommen.“ Er sah Rhia direkt an. „Es liegt keine Ehre darin, Dinge nur halb zu tun. Entweder werde ich einer von euch, und zwar ganz, oder ich gehe meinen Weg allein.“
Sie eilte zum Eingang. Vor ihren Augen verschwamm alles. Als sie endlich dort war, sah sie, dass sein Beutel auf dem Boden neben ihm stand.
„Filip, nicht. Wir brauchen dich.“
„Ich breche bald auf“, sagte er, „zu meiner Weihung.“
Sie atmete tief ein und griff nach seinem Arm. Ihre Berührung schien ihn zu überraschen.
„Du wirst es nicht bereuen“, sagte sie.
Er nickte knapp. „Lycas besteht darauf, dass er und Bolanmich bewachen und sichergehen, dass ich mich nicht mit einem Spion treffe.“
„Die Weihung sollte eine heilige Zeit zwischen dem Mensch und seinem Geist sein.“
„Ich kann ihm sein Misstrauen nicht vorwerfen. Er sagt, er bleibt außer Sichtweite, damit ich wenigstens das Gefühl habe, allein zu sein.“
„Filip, bist du so weit?“, rief Bolan vom Rand des Lagers. Filip winkte ihm zu und drehte sich noch einmal zu Rhia um.
„Wir gehen zu einer kleinen Bucht ein oder zwei Meilen die Küste hinauf. Dort gibt es Schutz vor Regen.“ Er stand vorsichtig auf. „Danke, dass du Alanka geholfen hast. Es hat mich daran erinnert, für wen ich es tun muss.“
„Für sie?“
„Nein.“ Er drehte sich um und ging davon, die Schultern gerade wie die eines Soldaten. Von der kurzen Unterredung erschöpft, fiel Rhia zurück auf ihre Decke. Auch wenn Filips Weihung sie einige Tage kosten würde, am Ende war es mehr wert, einen Verbündeten in ihm zu haben, der seine Gabe vollkommen unter Kontrolle hatte.
Rhia drehte sich um und zog eine flache Holzkiste aus ihrem Beutel. Sie wollte sie öffnen, sich den Inhalt an ihr Gesicht halten und ihren Ehemann nahe bei sich spüren. Aber die Kiste musste, bis sie in Leukos ankamen, versiegelt bleiben, also drückte sie sie stattdessen gegen die Brust.
„Halt durch, Marek“, flüsterte sie. „Wir kommen.“
28. KAPITEL
M arek hatte die Stirn gerunzelt und betrachtete das abgegriffene Blatt Papier vor sich, auf dem er nun zum vierten Mal versuchte, seinen Namen zu schreiben. Die späte Nachmittagssonne, die durch das Wohnzimmerfenster hereinfiel, blendete ihn, und er blinzelte. Schwarze Tinte beschmutzte seine Handflächen und Finger, und Marek hatte auf der alten schweren Decke, die Basha über den Tisch gelegt hatte, um das Holz zu schützen, Abdrücke hinterlassen.
Er verzog das Gesicht, als er mit einer fahrigen Bewegung einen weiteren Buchstaben am Ende des letzten Striches ruinierte. Fünf Tage ging das nun schon so, und er konnte keine Fortschritte feststellen. Seine Hände zeigten nichts von der Ruhe, mit der sie Pfeil und Bogen umschlossen hatten. Wenn Basha ihn je aus dem Haus lassen sollte, musste er ihr beweisen, dass er wenigstens in Grundzügen lesen und schreiben konnte.
Marek starrte die Wolfschnitzerei an, die ihm gegenüber auf der grünen Marmorplatte stand, auf einem Tisch, der keinen Zweck zu haben schien außer dem, die vielen wertlosen Objekte im Wohnzimmer auszustellen. Der Wolf starrte zurück. Verachtung stand in seinen wilden Augen.
Du solltest dich schämen.
Er drehte seinen Stuhl, bis er die Schnitzerei nicht mehr sehen konnte, aber dennoch Niliks Krippe nicht aus den Augen verlor. Der Wachmann an der Tür beobachtete ihn ausdruckslos.
Marek widerstand dem Drang,
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