Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
wie sie denken.“ Sie streckte ihm das Band entgegen. „Pferd will, dass du eine Brücke zwischen unseren Völkern bist. Eine Brücke kann nicht stehen, wenn sie nicht mit beiden Ufern verbunden ist.“
Einen langen Augenblick starrte Filip sie an, nahm dann das Band und schloss sie in seine Arme. „Du verstehst mich besser als ich mich selbst.“
„Das ist, weil …“ Sie hielt inne. Jeder andere Mann hatte ihre Worte einfach abgetan. „Das ist, weil ich dich liebe.“
Er versteifte sich und wich zurück. „Ich wünschte, das hättest du nicht gesagt.“
„Warum?“, wollte sie ängstlich wissen.
„Weil ich es zuerst sagen wollte.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Ich liebe dich, Alanka. Ich verspreche, ich werde dich immer lieben.“
Sie atmete scharf ein. „Was sagst du da?“
„Wenn wir nach Hause zurückkehren, will ich dich heiraten.“Er streichelte mit dem Daumen über ihre Wange. „Wenn du willst.“
Er küsste sie, und sie wollte mit ihm verschmelzen und sich von ihm vor allen Schmerzen der Vergangenheit und der Zukunft beschützen lassen. Aber das fühlte sich an wie etwas, das eine andere tun würde, nicht sie.
„Was, wenn wir nie nach Hause zurückkehren?“, fragte sie, als sie die Lippen voneinander lösten. „Was, wenn wir hierbleiben, auch wenn wir Marek und Nilik gefunden haben? Es sind noch so viele andere aus meinem Dorf hier. Sie könnten im ganzen Land verteilt sein.“
„Ich helfe euch, sie zu finden. Wenn wir hierbleiben, dann heiraten wir einfach unter uns. In Ilios bin ich für tot erklärt worden.“ Seine Lippen zuckten. „Wenigstens muss ich keine Steuern zahlen.“
„Das ist doch etwas.“ Sie hob das Kinn. „Was sind Steuern?“
Er lachte. „Steuern sind, wenn man Geld bezahlt, um … Warte. Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Er sah aus, als bemühte er sich, sie amüsiert anzusehen. „Willst du mich heiraten?“
„Vielleicht.“ Sie senkte den Blick. „Ich bin noch nicht bereit dazu. Nicht bis mein Geist zurückkehrt, falls er das jemals tut.“
„Alanka, vielleicht hat Wolf dich nicht verlassen. Vielleicht hast du ihn verlassen.“
Sie löste sich aus seiner Umarmung. „Wie kannst du so etwas sagen?“
„Ich habe dir Möglichkeiten angeboten, dich wieder mit ihm zu verbinden, aber du hattest für jede einzelne eine Ausrede, ohne es überhaupt zu versuchen. Es ist, als würdest du dich lieber in deinen Schuldgefühlen suhlen, als wieder ganz zu werden.“
„Ich bin wieder ganz. Rhia hat mein Seelenteil zurückgebracht.“
„Aber du hast nicht darauf gehört. Du tust so, als würde dein Vater dir über die Schulter blicken, alle deine Erinnerungen beurteilen und dich eine Mörderin nennen, weil du die Heimatdeiner Brüder verteidigt hast.“ Er trat näher auf sie zu. „Du hast jetzt die Gelegenheit, Marek zu helfen. Wolf wird an deiner Seite sein. Wenn die Geister es bedauern, vor langer Zeit mein Volk verlassen zu haben, dann werden sie mit denen, die ihnen treu gedient haben, nicht voreilig das Gleiche tun.“
Sie schloss die Augen und wandte sich ab. „Ich weiß nicht, wie ich ihn wieder in mein Leben lassen kann.“
„Wenn du aufhörst, dich gegen ihn zu wehren, findet Wolf es wahrscheinlich allein heraus.“ Von hinten legte Filip die Arme um sie. Sie standen eine lange Zeit so da und lauschten den Wellen. Plötzlich atmete er scharf ein. „Sieh nur.“
Sie drehte sich um. Der Nebel hatte sich gelichtet, und die untergehende Sonne warf ihr rosiges Licht auf eine gezackte Reihe am fernen Horizont.
„Was ist das?“
„Das ist Leukos“, flüsterte er. „Morgen sind wir da.“
31. KAPITEL
F ilip führte den Rettungstrupp östlich an der Küste entlang und sah zu, wie Leukos am Horizont immer größer wurde. Er versuchte sich nicht an den Anblick des Sonnenaufgangs aus seinem alten Schlafzimmerfenster zu erinnern. Endlose Morgen hatte er sich diesen roten Ball angesehen und darüber nachgedacht, welche Macht er seiner Nation verlieh – lange Sommer, in denen die Ernte wuchs, warme Meere voller Nahrung und Strahlen, die ihre Häuser noch lange nach Sonnenuntergang wärmten.
Er bereitete sich innerlich auf den ersten Anblick einer ilionischen Flagge vor, in den gleichen Farben, Rot und Gelb, wie sie an seiner Offiziersuniform zu finden waren. Man hatte sie ihm im Feldlazarett vom Leib geschnitten und weggeworfen, wahrscheinlich verbrannt. Er wünschte, er hätte auch nur einen Fetzen von ihr übrig
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