Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
behalten.
Zum hundertsten Mal rieb Filip sich das Kinn. Seine hellen feinen Haare hatten es ihm schwer gemacht, sich einen ordentlichen Bart stehen zu lassen, den er als Tarnung in Leukos brauchte. Es hatte den ganzen Monat, seit sie Asermos verlassen hatten, gedauert, bis sein Kinn bedeckt gewesen war. Leukonische Männer seiner Klasse rasierten sich jeden Tag, mit dem Bart würde man ihn also als Streuner ansehen – und ignorieren.
Alanka, die hinter ihm saß, reckte den Hals, um an ihm vorbei nach vorn zu sehen. „Auf eine seltsame Art ist es hier sogar schön.“ Sie ließ die Hand seinen Arm hinabgleiten. „Wie fühlt es sich an?“
Zuerst konnte er nicht sprechen, konnte nicht einmal anfangen, die Antwort auf eine Frage zu finden, die so wichtig war. Endlich sagte er: „Ich habe immer davon geträumt, als Held nach Hause zu reiten. Und jetzt? Sieh mich nur an.“
„Ich sehe dich an“, sagte sie. „Dein Traum hat sich erfüllt.“
Dankbar berührte er ihre Hand. „Noch nicht.“
Auf Filips Vorschlag hin schlichen sie sich in den nordwestlichen Teil von Leukos ein, einen der weniger begehrten und deshalb weniger bewachten Bezirke. Er wusste, dass sie sich hier wenigstens Zimmer und einen Stall für die Ponys leisten konnten.
Ihre eintönige, praktische asermonische Kleidung war der von Bauern aus den ländlichen Bezirken ähnlich, es gab also keinen Grund, etwas Neues zu kaufen, bis auf einige Kleinigkeiten wie rot-gelbe Schärpen, die Männer wie Frauen aller Klassen trugen, um ihre Zugehörigkeit zu Ilios zu zeigen. Für Filip war es schmerzlich, sie nur als Tarnung zu tragen.
Gegen Mittag hatten sie zwei Zimmer in einem schlichten, aber sauberen Gasthof gemietet. Filip bezahlte für eine Woche im Voraus, und der mürrische Inhaber stellte keine Fragen, als er ihr Geld in die Tasche steckte.
„Das ist der Vorteil einer großen Stadt“, sagte Filip zu seinen Freunden, als sie ohne Begleitung den steinernen Korridor des Gasthofs hinabgingen. „Es ist einfach, in der Menge unterzutauchen. Außerdem sieht keiner den anderen richtig an.“
„Warum nicht?“, fragte Koli.
Er blieb vor ihren Zimmern stehen. „Wenn man jemanden unfreundlich ansieht – oder zu freundlich –, hacken sie einem vielleicht das Auge aus.“ Er schloss das Zimmer für die Männer auf, reichte Koli den anderen Schlüssel und merkte, dass er sie schon früher davor hätte warnen sollen.
Nachdem sie sich gewaschen hatten, klopften Filip und Bolan an die Tür des Zimmers, in dem die Frauen schliefen. Rhia bat sie herein und zog eine flache Holzschachtel aus ihrem Beutel.
„Kümmert euch darum“, sagte sie.
„Das werden wir.“ Filip nahm die Schachtel und steckte sie in die Innentasche seiner abgetragenen Weste.
Alanka trat auf ihn zu. „Das ist nicht gefährlich, oder?“ „Natürlich nicht. Es gibt kein Gesetz gegen das Streicheln von streunenden Hunden.“ Er berührte ihre warme Wange. „Geh nicht ohne Arcas oder Lycas aus. Am besten gehst du gar nicht aus.“
Er und Bolan verließen den Gasthof und gingen durch die langen Schatten der Seitenstraßen auf den Marktplatz zu. Auf dem Weg dorthin erklärte er, wie die Stadt aufgebaut war.
„Sie ist in Quadranten eingeteilt. Wir befinden uns gerade im nordwestlichen Teil. Heruntergekommene Gegend, fast überall. Unterschicht, viele Arbeiter, oft ungelernt, wenige Handwerker. Aber auch sehr wenige Sklavenhalter, deshalb werden wir Marek hier eher nicht finden.“
Mit großen Augen sah Bolan sich um, sagte jedoch nichts.
„Starr nicht so“, ermahnte Filip ihn, „sonst fällst du noch auf.“
Bolan konnte es nur knapp vermeiden, gegen einen Eselkarren zu laufen. „Wo sind die ganzen Bäume?“
„Im Park.“
„Was ist ein Park?“
„Ein Ort, an dem es Bäume gibt.“ Er atmete tief durch die Nase ein und genoss die einzigartige Mischung aus salziger Luft, verdorbenem Fisch und Pferdemist, ein Duft, den er früher abstoßend gefunden hatte. Jetzt machte die Vertrautheit ihn schmerzhaft süß.
Am Rand des geschäftigen Marktplatzes fanden sie ihr erstes Ziel. Ein dünner brauner Hund hockte in einem zurückgesetzten Hauseingang. Durch sein stumpfes zottiges Fell waren die Rippen sichtbar. Filip und Bolan näherten sich ihm aus dem toten Winkel, um ihn nicht zu erschrecken. Sie lehnten sich gegen die Steinwand des Gebäudes. Bolan hockte sich mit einem Stück Brot hin und hielt es zur Seite, ohne den Hund anzusehen.
Das Tier, ein Weibchen, schleppte
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