Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
anderen. „Coranna hat mir erzählt, was mit deinem Bruder passiert ist.“
Sie versuchte mit den Schultern zu zucken. „Er hätte es nicht anders gewollt. Er war ein Krieger. Ein Bärenmarder, geboren, um zu kämpfen und zu töten. Geboren, um zu sterben, nehme ich an.“
„Geboren, um jene, die er liebt, zu beschützen, meinst du. Seine Heimat zu beschützen.“
„Das sagen sie alle, aber ich habe gemerkt, dass es ihm richtig Spaß gemacht hat. Wenn meine Brüder getötet haben, hat es sie stärker gemacht, nicht schwächer.“
„Was meinst du damit, schwächer?“
„Das Leben eines anderen Menschen zu nehmen hat ihnen kein Loch in ihr Innerstes gerissen und sie dazu gebracht, sich zu wünschen …“ Sie unterbrach sich. Sie konnte ihren geheimen Wunsch nicht aussprechen, nicht einmal vor einer Krähe. „Wenigstens schien es so.“
Damen stieß einen Seufzer aus, dessen Klang sie daran erinnerte, warum sie hier war – nicht um die Schlacht und das tote Gefühl, das sie in ihr hinterlassen hatte, zu besprechen, sondern um einen Weg zu finden, dieses Gefühl loszuwerden.
„Darf ich mal versuchen?“, fragte sie und zeigte auf seine Pfeife.
„Es ist ziemlich stark.“
„Das bin ich auch.“
Mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht reichte er ihr die Pfeife. „Sei vorsichtig.“
„Vorsichtig bin ich nie.“ Jedenfalls früher nicht. Sie lächelte, steckte sich das Mundstück zwischen die Lippen und hielt Damens Blick mit ihrem gefangen. Dann nahm sie einen tiefen Zug.
Und verschluckte sich daran. Die Pfeife fiel ihr fast aus der Hand, als sie kräftig und anhaltend husten musste. Ohne eine Miene zu verziehen, nahm Damen sie wieder an sich.
„Ist schon gut.“ Er klopfte ihr auf den Rücken. „Das passiertjedem beim ersten Mal. Manchmal huste ich auch noch, wenn ich zu tief inhaliere.“
Sie versuchte zu antworten, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Damen führte sie zu ihrem Haus, und sie schämte sich insgeheim, denn der Husten hatte ihr so viele Tränen in die Augen getrieben, dass sie kaum etwas sehen konnte.
Als sie im Haus waren, goss er ihr einen Becher Wasser ein. Sie griff danach und nahm einen großen Schluck.
Einen Augenblick später spie sie ihn wieder aus. Es war Meloxa. Ungesüßter Meloxa.
„Das war wohl kein Wasser?“, sagte er.
Sie öffnete die Augen einen Spaltbreit, nur um zu sehen, dass sie das saure Gebräu über seinen ganzen Mantel gespuckt hatte. „Tut mir leid“, flüsterte sie.
„Mein Fehler.“ Er roch an einem anderen Krug. „Ah, Wasser.“
Sie griff nach dem Gefäß und trank es halb leer. Bald konnte sie wieder flache Atemzüge nehmen, ohne zu husten. Damen drückte ihr ein sauberes Handtuch in die Hand, und sie benutzte es, um sich Augen und Nase zu wischen.
„Besser?“, fragte er.
Sie nickte, schämte sich aber immer noch zu sehr, um etwas zu sagen.
„Dann gehe ich wieder“, sagte er.
„Warum?“
Er hielt die Pfeife hoch. „Ich will dein Haus nicht vollräuchern.“
„Nein, ich mag es.“ Sie schniefte alles andere als verführerisch. „Bitte bleib. Es ist kalt draußen.“
Damen zuckte mit den Schultern, zog dann seinen Mantel aus und schüttelte die Meloxatropfen davon ab. „Danke.“ Er setzte sich an den Tisch, und Alanka durchquerte den Raum bis zu ihrem Bett, wo sie Platz nahm und sich mit dem Rücken an die Wand lehnte.
„Kann ich dich etwas fragen?“, erkundigte sie sich neugierig.
Er deutete mit seiner Pfeife auf sie.
„Du hörst die Stimmen der Toten, richtig?“
„Natürlich.“
„Die ganze Zeit, im Hintergrund, so wie Rhia?“
Er neigte den Kopf zur Seite. „Zuerst schon, aber dann habe ich gelernt, es zu unterdrücken.“
„Sie kann es nicht immer aufhalten.“
„Coranna hat gesagt, es liegt daran, dass ihre Schwangerschaft alles durcheinanderbringt. Bei einem Mann ist es einfacher, weil unsere Körper sich nicht zur gleichen Zeit wie unsere Gabe verändern. Bald wird sich alles für sie richten.“
Alanka stockte, als sie bemerkte, wie ähnlich sich Corannas und Damens sachliche Haltung waren. Sie ließen beide nicht zu, dass ihre Gaben ihre Gefühle in Aufruhr brachten, weil das Alter oder die Erfahrung sie gelehrt hatte, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten. Sie hoffte, Rhia lernte diese Fähigkeit nie.
„Was reden sie?“, fragte sie ihn.
„Wer?“
„Die Toten.“
„Das kann ich dir nicht sagen.“ Er versuchte ein spöttisches Lächeln, aber selbst im trüben Licht ihres
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