Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
nicht ohne meinen Sohn.“
Nilik wimmerte. Der Mann sah nervös ans Ufer. „Wir verhandeln nicht. Verschwinde oder stirb.“
„Nehmt mich mit“, sagte Marek.
Alanka schlug sich die Hand vor den Mund, um ihr erschrecktes Keuchen zu ersticken.
„Sehr lustig“, erwiderte der Mann. „Du wirst versuchen, das Kind zu stehlen und zu fliehen.“
„Ich will mich nur um ihn kümmern.“ Marek zeigte auf Nilik. „Ich kann ihn dazu bringen, mit dem Weinen aufzuhören. Bitte.“
Die Frau auf dem Boot gab ihrem Gefährten einen Stoß. Er drehte sich zu ihr um und besprach sich mit ihr, zu leise, als dass Alanka etwas hätte verstehen können. Sie kroch auf Ellenbogen und Knien den Pfad hinab und hoffte, freie Bahn auf den Mann oder einen der Soldaten zu bekommen. Sie musste warten, bis die beiden ihre Schwerter senkten. Wenn sie einen erschießen konnte, gelang es Marek vielleicht, den anderen zu entwaffnen und Nilik zurückzuholen. Vielleicht wartete er genau darauf und bot nur an, selbst mitzukommen, um die Nachfahren abzulenken und Zeit zu schinden.
Ihr linker Schuh traf auf einen Zweig, und Marek neigte den Kopf. Jetzt wusste er, dass sie bei ihm war. Die anderen reagierten nicht. Sie kam noch näher.
Der Mann auf dem Boot wandte sich wieder an Marek. „Wenn du mit uns kommst, wirst du als Gefangener mit in die Stadt Leukos genommen, genau wie dein Sohn. Willst du das?“
„Wenn ich die Wahl habe, das zu tun oder ihn nie wiederzusehen, dann ja, das ist es, was ich will.“
Rede weiter, Marek. Alanka schlich sich bis zu einem Ort, an dem der Pfad steil hinabführte und sie klare Sicht auf die Rücken der Schwertträger hatte. Sie zog einen Pfeil aus ihrem Köcher.
Der Mann deutete auf den Soldaten, der Mareks Bogen und Pfeile an sich genommen hatte. „Lass seine Waffen hier liegen und bring ihn her. Hoffentlich ist der Preis, den er erzielt, die Mühe wert.“
Die Wächter nahmen ihn an den Armen und senkten die Schwerter, um ihn zum Boot zu führen. Jetzt war die Gelegenheit gekommen.
Alanka ging in die Knie und legte den Pfeil an. Sie zielte mit einer Sicherheit, die aus dem Chaos der Schlacht geboren worden war. Die Bogensehne spannte sich an.
Die Welt wurde zu Feuer. Durch den Rauch des Schlachtfeldes kamen die Nachfahren mit gehobenen Schwertern gestürmt. Sie schoss einem von ihnen in die Schulter. Der Pfeil drang durch seine Rüstung wie eine Nadel durch Stoff. Er lachte und rannte weiter auf die Reihen der Bogenschützen zu. Ein anderer schoss auf ihn, dieses Mal in den Magen. Sein Lachen vermischte sich mit einem Schrei, er hob das Schwert und sprang auf Alanka zu.
Als er nur noch wenige Schritte entfernt war, schoss sie ihm in die Kehle. Er hörte auf zu lachen, hörte auf zu schreien, hörte mit allem auf, starrte sie nur an. Das Licht in seinen Augen verlosch nicht langsam. Es loderte auf. In dem Mann war eine Angst, die sie in den Augen eines Tieres noch nie gesehen hatte – die Angst vor dem Tod. Sie wusste, dass sie sich abwenden und ihre Reihen verteidigen musste, aber etwas hielt ihren Blick gefangen. Sie wartete und sah zu.
Der Soldat stand wie erstarrt da. Seine blutbeschmierten Finger griffen nach seinem Hals. Sein Mund öffnete und schlosssich zweimal, dann noch zweimal. Sein Blick flehte sie an, die Bahn des Pfeils zurückzunehmen und alles ungeschehen zu machen.
Ein ganzer Tag schien zu vergehen, ehe er fiel.
Als sein Körper das Gras berührte, zersprang der Boden.
Alanka sah sich um. Das Schlachtfeld war verschwunden und das Ufer leer.
„Nein …“
Schnell senkte sie den Bogen und rannte ans Wasser. Das Boot der Nachfahren, auf dem auch Marek sich befand, wurde von der schnellen Strömung in der Mitte des Flusses davongetragen. Er war fort.
Alanka sank auf die Knie und heulte gequält auf. Marek hatte gewusst, dass sie bei ihm war, und sie hatte ihn im Stich gelassen, als er sie am meisten gebraucht hatte. Sie raufte sich die Haare, wiegte sich vor und zurück und drückte die Stirn in den kalten harten Schlamm. Die Pfeile fielen aus dem Köcher auf ihrem Rücken und regneten nutzlos zu Boden. Sie schrie auf und wünschte sich, sich jeden einzelnen ins eigene Herz schießen zu können.
17. KAPITEL
R hia reichte die letzte schmutzige Socke ihres Sohnes an Medus, den Anführer der asermonischen Polizeieinheit, der ein Dachs in der zweiten Phase war. In der letzten Stunde hatten er und Rhia die Nachbarn in Gruppen eingeteilt, die die Straßen, Gassen und Häuser des
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