Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
„Gebt mir mein Kind zurück!“, rief sie Marek zu. „Bitte!“
Marek zwang sich, ruhig zu sprechen. „Nur wenn ihr mir meines gebt.“
„Tut mir leid“, sagte der Kapitän. „Ich werde bezahlt, asermonische Kinder nach Hause zu bringen, keine aus Ilios. Dein Sohn könnte unsere einzige Chance sein.“
„Chance auf was?“
„Auf das, wofür sie die Kinder eben brauchen. Ich will keine Antworten, ich will nur bezahlt werden.“ Sareb schob Nilik von einem Arm in den anderen, und der Junge fing an zu weinen. Mila, die ihre Hände immer noch an die Reling geklammert hatte, schloss sich ihm an.
Eneas beugte sich zu Marek. „Wir könnten versuchen, das Schiff zu kapern.“
„Wenn wir angreifen, lässt er Nilik fallen. Außerdem, sieh doch.“ Er deutete auf das andere Ende des Schiffs, wo eine Reihe Soldaten an der Reling in Position ging. „Es könnten noch Hundertemehr unter Deck sein. Vielleicht erreicht ihr ihn nicht einmal, ehe sie euch alle umgebracht haben.“
„Was schlägst du dann vor?“
Marek atmete tief ein und nahm Neylas Korb. „Bringt die anderen Kinder zurück nach Asermos. Sagt meiner Frau …“ Er zögerte und suchte in Gedanken nach einer Nachricht, die sie trösten würde. „Sagt ihr, ich beschütze unseren Sohn. Was auch immer es kostet.“
Der Bär nickte ernst und legte Marek eine Hand auf die Schulter. „Ich wünsche dir viel Glück.“
Entschlossen betrat Marek die Planke und ging an Bord des Schiffes.
20. KAPITEL
M an hatte Corannas Scheiterhaufen auf einer Lichtung im Norden von Asermos errichtet, einem Ort, der normalerweise für Freudenfeuer benutzt wurde. Am Morgen der Beerdigung stand Rhia mit ihrem Vater auf der Lichtung und dachte an die Hochzeiten, Geburtstage und Sonnenwenden, die sie dort erlebt hatte. Ihre Erinnerungen wurden grau wie der regenverhangene Himmel.
Nur die Kalindonier verbrannten ihre Toten, statt sie zu begraben – wegen ihres felsigen Bodens, aber auch aus dem Wunsch heraus, sich in einem letzten Akt mit Bäumen und Luft zu vereinigen. Den Asermoniern zuliebe hatte Damen Corannas Leiche wie für ein Begräbnis vorbereitet und sie in Stoffstreifen gewickelt, die er in Öl getaucht und rituell gesegnet hatte.
Jetzt lag sie auf dem Scheiterhaufen, der auf flachen Steinen errichtet worden war, um zu verhindern, dass das Feuer auf das Gras übergriff. Ein Haufen trockener Wacholderzweige lag ein Stück daneben, und an jeder Ecke des Scheiterhaufens loderte eine Fackel.
„Damen hat das alles an einem Tag geschafft?“, fragte Tereus.
„Er hat in Velekos vielen Beerdigungen vorgestanden.“ Rhia hörte ihre eigene Antwort, als hätte jemand anders sie gesprochen. Sie ließ die Gedanken den Fluss entlang bis zu dem Dorf hinabwandern, wo Marek in der vergangenen Nacht gerettet worden war – oder auch nicht. Sie wollte den Himmel anschreien, die Zeit schneller laufen und die Sonne hinter dem Horizont verschwinden zu lassen, damit es endlich Abend wurde und die Tauben aus Velekos Nachricht von Marek und Nilik brachten.
Tereus sprach wieder und holte sie damit zurück in die Gegenwart. „Hat Damen Corannas Enkel in Tiros benachrichtigt?“
„Ja, wir haben sie um Verzeihung gebeten, dass wir die Beerdigung nicht hinauszögern können, bis sie anreisen. Aberwir müssen bereit sein, am Morgen aufzubrechen.“
„Bist du das?“
Sie nickte. Wenn er ihr noch eine einzige Frage stellte, würde sie explodieren.
Tereus berührte ihren Arm. „Dein Rettungstrupp ist hier.“ Die Freunde, die sie für ihre Mission zusammengetrommelt hatte, erklommen den Hügel zur Lichtung. Sie gingen nebeneinander, als wollten sie sich bereits gegen die Widrigkeiten, die vor ihnen lagen, verbünden.
Ihr Bruder Lycas kam als Erster an und umarmte sie.
„Was hat Mali gesagt?“, wollte sie von ihm wissen.
„Sie hat gesagt, wenn ich sie jetzt verlasse, soll ich nie mehr zurückkommen.“
„Oh.“ Rhias Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wie sollten sie Mareks Entführer ohne die Kraft und Entschlossenheit ihres Bruders überwältigen?
„Mit etwas Glück“, sagte er, „vermisst sie mich, während ich fort bin, so sehr, dass sie bei meiner Rückkehr ihre Meinung geändert hat.“
Rhia umarmte ihn noch einmal. „Es tut mir leid.“
„Jeder, der der Familientreue so wenig Respekt zollt wie diese Frau, kann …“ Er knirschte mit den Zähnen. „Schon gut. Es war von Anfang an keine gute Idee, das mit mir und Mali.“
Die übrigen Helfer kamen einer
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