Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Bolan. „Die Tauben kommen erst kurz vor Einbruch der Nacht, besonders nach dem Regen.“ Er zögerte. „Vielleicht auch erst morgen.“
Rhia wirbelte zu ihm herum. „Sag so etwas nicht!“
Die anderen Mitglieder ihres Rettungstrupps verstummten. Selbst Lycas verkniff sich seine üblichen Sprüche.
Alanka war drauf und dran, ein Gebet an den Wolfgeist zu sprechen, um ihn zu bitten, Marek zu beschützen, ehe sie sich daran erinnerte, dass ihr Geist sie verlassen hatte. Sie musste sich darauf konzentrieren, geschmeidig wie ein Wolfmensch zu gehen und nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Die Luft roch abgestanden.
Tereus ging vor seiner Tür auf und ab, als sie ankamen. Aus dem offenen Fenster drangen wütende Stimmen.
„Geht da nicht rein“, sagte er zu ihnen.
„Was ist los?“, fragte Rhia, und ihre Stimme klang angespannt.
„Galen verdächtigt Filip, an den Entführungen beteiligt zu sein.“
„Ich wusste es.“ Lycas schlug sich mit der Faust in die Handfläche. „Lass mich zu ihm.“
„Nein!“, rief Alanka. „Er kann es nicht gewesen sein.“
Neugierig sah Tereus sie an, ehe er sich wieder an Rhia wandte. „Galen denkt, er hat für die Nachfahren spioniert und ihnen verraten, wo die Neugeborenen zu finden sind.“
„Woher sollte er das wissen?“, fragte Bolan.
„Er hat Wochen im Krankenhaus verbracht“, erinnerte Lycas sie. „Er hat wahrscheinlich belauscht, wie Zelia mit anderen Patienten gesprochen hat.“
„Vater, ist das möglich?“, wollte Rhia wissen. „Könnte eruns das antun, nachdem wir ihm geholfen haben?“ Ihre Stimme klang beinah schrill. „Wie konnte er nur?“
„Hat er nicht“, betonte Alanka nachdrücklich, aber niemand hörte ihr zu.
„Ich hätte nie gedacht, dass er zu so etwas fähig ist.“ Tereus rieb sich den Nacken. „Aber er ist in den letzten Wochen ein paarmal verschwunden und war jedes Mal stundenlang weg.“
Die Geräusche von drinnen wurden noch lauter. „Wo bist du gewesen?“, brüllte jemand. „Wenn du dich nicht mit einem Spion der Nachfahren getroffen hast, wo warst du dann?“
Bolan stieß einen verächtlichen Laut aus. „Galen hat Dachse mitgebracht, um ihn auszufragen?“
„Ich war reiten“, erklärte Filip.
„Er lügt“, sagte ein weiterer Mann. „Aber nicht alles ist gelogen.“
Jetzt richtete Galen das Wort an Filip. „Filip, hat irgendwer dich auf diesen Ausflügen gesehen? Bist du in der Stadt oder in den Wäldern irgendwem begegnet?“
Alanka schlich sich näher an das Fenster, um seine Antwort zu hören.
„Nein“, sagte Filip. „Ich war allein.“
„Das stimmt nicht!“ Alanka schob sich an Tereus vorbei und öffnete die Tür. Fassungslos starrten die fünf Männer im Inneren sie an. Filip saß auf einem Stuhl zwischen zwei Dachsen, die die Armbinden der asermonischen Polizeieinheit trugen. Einer von ihnen war Medus, der Mann, der sich zwei Nächte zuvor ihre Geschichte angehört hatte. Neben Galen stand ein Mann, den sie nicht erkannte, mit einer Eulenfeder um den Hals. Ihn musste man angestellt haben, um Filips Lügen aufzudecken.
„Ich war bei ihm“, sagte sie.
„Was?“ Lycas folgte ihr ins Haus und knallte die Tür gegen die Wand. „Du und er? Meine Schwester und ein Nachfahre?“
„Deine Schwester und ein Ilioner, ja.“ Sie straffte sich. „Und warum auch nicht?“
Lycas blinzelte mehrmals schnell hintereinander. „Alanka,sein Volk hat dein Dorf zerstört und die Ältesten ermordet.“
„Das ist nicht sein Volk. Er gehört nicht mehr zu ihnen.“
„Sie hat recht.“ Filip starrte Lycas wütend an, stand dann auf und ging an die Truhe am Fußende seines Bettes. „Und offensichtlich bin ich auch keiner von euch.“ Er hob den Deckel der Truhe an.
Alanka trat an seine Seite. „Was machst du da?“
„Ich packe.“
Sie bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. „Verlässt du uns?“
Er sah erst sie an, dann Galen. „Sind wir hier fertig? Ich würde gern mit ihr allein sprechen.“
Galen wandte sich an Alanka. „Schwörst du bei deinem Geist, dass Filip an allen infrage kommenden Tagen bei dir war?“
Sie hatte Angst, dass ihre Zweifel offensichtlich waren, weil sie nicht auf einen Geist schwören konnte, den sie nicht mehr hatte. Dennoch berichtete Alanka von den Gelegenheiten, bei denen sie und Filip sich getroffen hatten, wo sie hingegangen waren und für wie lange. Sie ignorierte ihren Bruder, der neben der Tür stand und vor Wut kochte.
Der Eulenmann
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