Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Augenschatten Rhia zu. „Ist das die Mutter des entführten Kindes?“
Damen streckte den Arm aus. „Meine Krähenschwester, Rhia.“
„Willkommen.“ Reni lächelte und strich sich die lockeren Strähnen ihrer rotbraunen Haare, die aus ihrem Zopf gerutscht waren, hinter die Ohren. „Du vergibst mir, wenn ich mich nicht verbeuge, ja?“
„Ich verstehe das“, erwiderte Rhia. „Ich war erst vor Kurzem selbst schwanger.“ Sie schluckte.
Damen nahm Renis Hand. „Du solltest dich hinlegen. Die anderen sind bald hier.“
Reni bat sie hinein und deutete auf die Küche zu ihrer Linken. „Bitte, trocknet euch ab, macht euch Tee.“ Sie ging zu einem Bett in der Ecke des Wohnzimmers, ohne Damens Hilfe anzunehmen. Selbst in ihrem Zustand strahlte Reni noch eine sprudelnde Energie aus. Sie sah ungefähr so alt wie Lycas aus, drei-, vielleicht vierundzwanzig.
Rhia trat in die Küche, um den beiden Zeit für sich zu geben, auch wenn in ihren Gedanken Fragen über den gescheiterten Rettungsversuch brannten. Sie zündete die Herdflamme an und füllte einen Topf mit Wasser. Als sie zurück in den Wohnbereich kam, lag Reni auf dem Bett, und Damen saß mit der Hand auf ihrem Bauch neben ihr.
„Ich habe gefühlt, wie er sich bewegt hat!“, sagte er zu Rhia. „Er lebt.“
Rhia versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen, doch es gelang ihr nicht.
„Ja, natürlich ist er am Leben.“ Reni knuffte ihn in die Seite. „Bald hat er da drinnen kaum noch Platz, um sich zu bewegen, also genieß es, solange du noch kannst.“ Sie drehte den Kopf auf dem Kissen. „Ich bin so froh, dass du bei der Geburt dabei sein wirst, Damen. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass du es nicht schaffst, aber Nathas hat immer daran geglaubt.“
Die Tür schwang auf, und ein sehniger rothaariger Mann trat ein, der hinter sich einen kleinen Handwagen zog, auf dem eine Kiste voll mit Nahrungsmitteln stand.
„Reni, ich hoffe, du hast Hunger“, sagte er, ohne sich umzusehen. „Ich habe alles Frühlingsgemüse gekauft, das die Schildkrötenfrau empfohlen hat.“
Er drehte sich um und entdeckte Damen, der aufgestanden war und eine Armeslänge entfernt stand. Sie starrten einander einen langen Augenblick nur an und fielen sich dann so schnell und fest in die Arme, als hätte sie ein unsichtbares Seil zueinander hingezogen.
„Damen.“ Nathas kniff seine Augen zusammen. „Bei allen Schutzgeistern, wie habe ich dich vermisst.“ Er lehnte sich zurück und sah der Krähe ins Gesicht. „Wann bist du so alt geworden?“
„Wann bist du so hässlich geworden?“
Sie lachten gemeinsam, und dann küssten sie sich – sie küssten sich lange, besonders für die zurückhaltenden Velekonier. Rhia fragte sich, ob sie je wieder mit Marek auf diese Art vereint sein würde.
„Dafür ist später noch Zeit“, sagte Reni. „Wir erwarten Gäste, und Damen lässt mich nicht die Gastgeberin spielen.“
Nathas ließ los. Er entdeckte Rhia, und seine haselnussbraunen Augen wurden traurig. „Du bist wohl …“
„Rhia“, sagte Damen, „meine Geistesschwester.“
„Zwei Krähen unter einem Dach.“ Nathas lächelte angespannt. „Gute Zeiten, was?“ Er verbeugte sich vor ihr, und Rhia tat es ihm gleich. „Das mit deiner Familie tut mir leid“, sagte er.„Mein Freund Eneas kommt nach der Arbeit vorbei, um zu berichten, wie die Rettung verlaufen ist. Er war mit deinem Mann dort und hat eine Nachricht von ihm für dich.“
„Eine Nachricht?“ Rhias Herz tat einen Sprung. Vielleicht fand sich darin ein Hinweis. „Wie lautet sie?“
„Das musst du Eneas fragen. Er wird nach Einbruch der Dunkelheit hier sein, sobald er sein Boot in den Hafen gebracht hat.“ Nathas zog den Handwagen in die Küche. „Hilf mir mit dem Essen, ja?“
Rhia folgte ihm. „Die Tauben haben gesagt, dass die anderen zwei Kinder gerettet wurden, nur Nilik nicht. Und dass Marek freiwillig auf das Schiff gegangen ist.“
„Ich war nicht dabei, aber das habe ich auch gehört.“ Nathas lud die Kiste mit grünem Gemüse ab. „Wenn es dir hilft, die Kinder, die gerettet wurden, scheinen keinen Schaden genommen zu haben. Sie sind bereits auf dem Weg zurück nach Asermos.“
Bitterer Neid erfasste sie. Bald würden diese anderen Eltern ihre Kinder wieder in den Armen halten, während ihre eigenen leer blieben. Sie sollte sich für die anderen freuen, aber ihr Herz füllte sich nur mit brennendem schwarzem Hass.
Sie nahm ein langes Messer und eine Handvoll Wurzelgemüse und
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