Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
nehmen zu lassen, meinst du.“ Lycas trat dicht an ihn heran. „Ihr seid alle bis auf die Knochen verdorben.“
„Er lügt nicht.“ Nathas streckte eine Hand aus, um Lycas aufzuhalten, und richtete einen langen ruhigen Eulenblick aufFilip. „Er hat vielleicht Zweifel an seiner Entscheidung, aber seine Absichten sind ehrlich.“
„Morgen brechen wir auf.“ Rhia warf ihrem Bruder einen herausfordernden Blick zu und wandte sich an Nathas. „Die Asermonier haben Geld für unsere Überfahrt gespendet, aber wir benutzen es eben stattdessen für Pferde. Zeigst du uns, wo wir welche finden?“
Die Eule lächelte und verbeugte sich leicht. „Nicht nur das, man hat mir auch gesagt, dass Velekos verdoppeln wird, was Asermos euch gegeben hat, und euch die Pferde noch dazuschenken wird. Schließlich seid ihr vielleicht auf der Suche nach dem Rabenjungen.“
„Vielleicht auch nicht.“ Reni legte sich schützend eine Hand auf den Bauch und sah dann Rhia an. „In jedem Fall wird es Zeit, dass wir anfangen, wie ein Volk zu handeln. Ich arbeite in der Wechselstube. Von mir bekommt ihr den besten Umrechnungskurs für ilionische Währung, und ich nehme keine Gebühr.“
„Danke“, sagte Rhia. Die Dörfer waren einander in ihrem ganzen Leben noch nie so großzügig begegnet.
„Gern geschehen.“ Reni setzte sich auf. „Jetzt lasst uns essen.“
Die Retter und ihre neuen Gastgeber teilten sich ein Mahl aus Fisch und Gemüse. Auch wenn das Essen frisch war, konnte Rhia nicht mehr als einige Bissen herunterbekommen. Sie fragte sich, wo Marek in dieser Nacht essen würde, ob er ihren Sohn dabei sah und ob er sich je an seine Gefangenschaft gewöhnen konnte.
Sie glaubte nicht daran. Marek würde lieber sterben, als vor einem Nachfahren auf die Knie zu gehen, und dieser Stolz konnte seinen sicheren Tod bedeuten.
Von seinem Fenster im Sklavenquartier aus starrte Marek über die Silhouette von Leukos. Der Sonnenaufgang strahlte rosig über die weißen Gebäude, aber Mareks Blick konzentrierte sich auf das Grün. Basha – die Frau, der er gehörte – nannte es einen Park, einen Ort, den man ausgewählt hatte, um den Leukoniernetwas, das sie Natur nannten, zu verschaffen. Dort standen, soweit er sagen konnte, fünf oder sechs verschiedene Baumarten in kleinen Gruppen beisammen.
Es war künstlich, aber es war grün, und es war alles, was ihm blieb. Seine Gaben verschwanden, weil Wolf ihn inmitten so vieler Steine nicht finden konnte.
Wie immer hörte er Petrops Schritte, als sie sich seinem Raum näherten, aber dieses Mal war der Diener schon fast an der Tür, ehe Mareks Ohren das Geräusch wahrnahmen. Schnell wandte er sich vom Fenster ab.
Petrop blieb lange genug auf der Schwelle stehen, um zu sagen: „Geh zu ihr“, ehe er weiterging.
„Dir auch einen guten Morgen“, murmelte Marek.
Zwei Hauswachen waren an seiner Seite, sobald er den Raum verließ. Ehe er den Treppenabsatz erreichte, hörte er Nilik schon weinen. Die Wachen führten ihn hinab ins Wohnzimmer, den Raum, in dem er Basha zum ersten Mal begegnet war.
Sie saß mit Nilik neben sich auf dem Diwan. Das Kind strampelte mit den Beinen und quengelte. Es ignorierte die bunte Rassel, die sie ihm ins Gesicht hielt. Marek blieb auf der Schwelle stehen und zwang sich, die Fäuste zu öffnen.
„Den Göttern sei Dank, du bist hier.“ Basha winkte mit den Händen in Richtung Nilik. „Mach, dass er aufhört.“
Marek ging um das Sofa herum, damit er sich von der Seite nähern konnte, die Basha gegenüberlag. Wie befohlen sprach er nicht mit ihr, und er sah sie auch nicht an. Er hob Nilik hoch und hielt ihn im Arm. Dann begann er zu flüstern und sich auf die Art zu wiegen, die dem Jungen am besten gefiel.
„Was stimmt nicht mit ihm?“, fragte sie. „Der Heiler sagt, er ist nicht krank. Er trinkt genug, und gewickelt werden muss er auch nicht.“ Ihre Stimme wurde schrill. „Ich verstehe das nicht. Warum ist er nicht glücklich?“ Als Marek nicht antwortete, sagte sie: „Du darfst mit mir sprechen, wenn du eine Antwort hast.“
„Vielleicht vermisst er seine Mutter“, flüsterte Marek.
„Falsche Antwort!“ Basha stand auf und ging auf ihn zu. „Ichbin jetzt seine Mutter, und daran sollte er sich lieber gewöhnen.“
Nilik schrie, als sie auf ihn zukam, und Basha blieb stehen. „Oh.“ Sie legte sich die Handflächen an die Schläfen. „Ich weiß, dass es für ihn schwer ist. Ich will nur, dass er mich nicht hasst.“
Marek sprach, so leise
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