Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
er konnte, über Niliks Heulen hinweg. „Er hasst Euch nicht. Er ist zu jung, um zu hassen.“ Schnell sah er sich in dem großen Zimmer um. „Hier ist nur alles fremd für ihn.“
„Aber das ist es nicht!“ Basha glitt zu einem der Tische und nahm eine Holzschnitzerei von einem Adler mit ausgebreiteten Flügeln in die Hand. „Mein Haus ist voll von asermonischen Dingen. Ich liebe ihre Kunst, sie ist so primitiv und echt. So natürlich.“ Sie blieb stehen und starrte Marek an. Er wandte sich ab. „Hmm, ich wünschte, ich hätte dein Haar nicht scheren lassen. Aber es wird wieder wachsen, bis es lang und wild ist.“
Marek wollte nicht daran denken, wie viele Monate das dauern konnte. Er hatte an diesem Ort schon Probleme, den Tag zu überstehen. Aber seine kurzen Haare fühlten sich nicht falsch an – er trug Trauer, auch wenn niemand gestorben war.
Niliks Wimmern wurde leiser, und Marek legte ihn sich in die Armbeuge. Das Gesicht des Jungen war vom Weinen runzlig und rot. Er sah wie ein müder alter Mann aus. Marek hielt seinem Sohn den Finger hin, damit er daran saugen konnte.
„Das ist besser.“ Basha seufzte und nahm die Rassel vom Sofa. „Die hier will er nicht. Was mag er? Du kannst sprechen.“
Er wollte ihr sagen, dass Nilik zu jung war, um Spielzeug zu mögen, aber er wusste, dass sie sich nicht gern tadeln ließ. „Er mag Geräusche lieber. Ich könnte Euch einige seiner Lieblingslieder beibringen.“
Sie staunte. „Das wäre wunderbar. Ich schicke nach Papier, dann kannst du mir die Texte aufschreiben.“ Sie machte eine Geste in Richtung eines Wächters, der sich verbeugte und den Raum verließ.
„Ich schreibe nicht“, sagte Marek.
„Kannst du lesen?“
„Nein. Mein Volk braucht das nicht.“
„Na, hier wirst du es brauchen. Ich bringe es dir bei.“
Mit offenem Mund starrte er sie an.
„Sieh nicht so erschreckt aus“, sagte sie. „Ich kann nicht zulassen, dass einer meiner Leute keine Straßenschilder und Warenaushänge lesen kann. Du wirst dich verlaufen oder übers Ohr gehauen werden.“
Mareks Gedanken fingen an zu rasen. Eines Tages würde sie ihm erlauben, das Haus zu verlassen, wenn es ihm gelang, ihr Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht konnte er dann einen Weg finden, zu fliehen.
„Danke“, sagte er, „Euer Ehren.“
„Wir fangen gleich an.“ Sie setzte sich an den Tisch und zog eine Schublade auf. „Ich zeige dir, wie man deinen Namen schreibt, den ich anscheinend vergessen habe.“
„Marek.“
Basha zog eine Tintenflasche und eine schwarze Feder aus der Schublade. „Er endet mit einem K, also bist du in Gedenken an jemanden getauft. An wen?“
Marek starrte die Feder an, die ihn an den Fetisch erinnerte, den Rhia um ihren Hals trug.
„Du kannst sprechen“, sagte Basha angespannt.
Er behielt seinen Blick auf die Feder gerichtet. „Eine Großtante. Marca.“
„Und das Kind? Wer ist sein Namenspate?“
„Der Bruder meiner Frau. Nilo.“ Marek sah Basha direkt an. „Er fiel in der Schlacht mit den Nachf… mit Eurem Volk.“
Sie senkte den Blick und starrte in die Schublade, als hätte sie vergessen, warum sie sie geöffnet hatte. „Mein Mann ebenfalls.“
Marek verzichtete auf eine geheuchelte Mitleidsbekundung.
„Als man mir die Nachricht überbracht hat“, sagte sie, „habe ich unser Kind verloren. Es war noch nicht geboren.“
„Das tut mir leid“, sagte er und meinte es wirklich ernst.
Sie näherte sich ihm und sah hinab zu Nilik, der immer noch an Mareks Finger saugte. „Ich habe seinen Namen in Demedor geändert, nach meinem Mann. Die Leute müssen glauben, dass er mir gehört.“ Sie griff nach einer blonden Locke. „Es tutmir leid, dass ich damit die Erinnerung an seinen Onkel gelöscht habe.“
Marek hielt seinen Blick auf das Kind gerichtet. „Ich weiß, wie es ist, zwei auf einmal zu verlieren. Meine erste Partnerin ist bei der Geburt gestorben und hat meinen Sohn mit sich genommen.“
Sie streichelte Niliks rosige Wange. „Aber du hast Ersatz gefunden“, flüsterte sie. Und dann verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln, das Marek das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Genau wie ich.“
26. KAPITEL
R hia und Damen standen am Ende der Straße, die aus Velekos hinausführte, während die anderen sich kurz ausruhten. Hinter ihnen erwachten die Dorfbewohner und begrüßten den neuen Tag, der wenig profitabel werden würde, seit das Embargo verhängt worden war. Vor ihnen erstreckten sich Büschel von Sumpfgras
Weitere Kostenlose Bücher