Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
die kühle Morgenluft.
Marek drehte sich um und sah einen der Soldaten, die ihn aus Asermos hierhergebracht hatten. Er hielt einen der Körbe der Kinder in der Hand. Marek sprang auf ihn zu, aber die Kette riss ihn zurück. Sareb fluchte.
„Ihr kommt beide an den gleichen Ort“, sagte der Kapitän, „also beruhige dich, sonst schicke ich dich in die Minen.“
„Ich will ihn jetzt sehen.“
„Wenn wir dort sind und wenn sie sich entschließt, dich zu behalten.“ Er zog Marek näher an sich heran. „Um uns alle glücklich und ein paar von uns reich zu machen, versuch so zu tun, als wärst du ein guter Junge.“ Er klopfte Marek auf die Schulter und grinste ihn breit an. „Verstanden?“
Marek nickte. Was auch immer er tun musste, er würde bei Nilik bleiben. Als die Reihe sich vorwärtsbewegte, atmete er tief durch und versuchte den Duft seines Sohnes aufzuspüren.
Ihm ging auf, dass man ihn genau wie jetzt als Gefangenen nach Leukos gebracht hätte, wären Rhia, Alanka und Lycas ihm nicht letztes Jahr zu Hilfe gekommen, um ihn aus dem Lager der Armee der Nachfahren zu retten. Zum ersten Mal fragte er sich, ob es so etwas wie Schicksal gab.
Am Ende des Anlegers, am Rand einer belebten Straße, diemit flachen blassgrauen Steinen gepflastert war, erwartete sie ein Pferdewagen. Die Soldaten halfen Marek in den hinteren Teil, wo sie ihn in ihre Mitte nahmen. Sareb setzte sich ihm gegenüber und behielt trotz des Wimmerns, das aus dem Korb auf seinem Schoß drang, sein selbstzufriedenes Lächeln.
Der Wagen holperte über die Straßen und schüttelte Marek durch. Niliks Schreie verstummten, bald nachdem die schaukelnde Bewegung eingesetzt hatte. Auf ihrem Weg zwischen den Gebäuden hindurch sank Mareks Mut. Er hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Verstohlen hielt er Ausschau nach einem vertrauten Anblick – einem Baum, selbst einem Busch. Nirgends war Grün zu sehen.
Sie fuhren einen Hügel hinauf, wo die Gebäude flacher und länger wurden. Vor vielen Fenstern blühten Blumen, aber er konnte die Erde nicht sehen, in die sie gepflanzt waren. Je höher sie kamen, desto mehr von der Stadt konnte er sehen.
Weiße Gebäude erstreckten sich entlang schmaler Straßen in langen schiefen Reihen, wie Ziegelsteine, die darauf warteten, gespachtelt zu werden. In jeder Straße, durch die sie gefahren waren, hatten Arbeiter die Wände der Gebäude geschrubbt, um ihr makelloses Aussehen zu bewahren.
Marek hätte sich die Ohren zugehalten, wären seine Handgelenke nicht gefesselt und an den Sitz gekettet gewesen. Das Scheppern der Wagenräder und die Tiraden der, so schien es, tausend Fußgänger und Fahrer schufen eine Mauer aus Geräuschen. Mareks Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Hundert verschiedene Düfte stürmten auf ihn ein – angebranntes Essen, Abwässer und der Schweiß von zu vielen Menschen an einem Ort.
Bald erreichten sie eine breite Auffahrt aus reich dekorierten Pflastersteinen, die zu einem Eisenzaun führte, der etwa dreimal so hoch war wie er selbst groß. Die Soldaten halfen Marek aus dem Wagen. Zwei Wächter näherten sich dem Tor von der anderen Seite.
„Wir sind wegen Petrop hier“, sagte Sareb.
Sie öffneten das Tor. Dahinter lag eine große offene Fläche,an die sich auf einer Seite ein Stall anschloss und auf den anderen zwei Seiten die rückwärtige Fassade eines Steinhauses – natürlich weiß. Auf diesem Platz liefen Pferde und Menschen durcheinander und beobachteten ihn auf seinem Weg durch die Menge.
Die Soldaten, deren Füße auf einem Belag aus winzigen Kieseln knirschten, führten Marek zu einer Tür ohne Griff. Eine der Torwachen klopfte viermal und wartete.
Ein runzliger glatzköpfiger Mann öffnete die Tür, der mit einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose bekleidet war. Seine Uniform trug keine Abzeichen oder sonstige Zierde, doch seine gerade Haltung verriet ein gewisses Ansehen, wenigstens innerhalb dieses Haushalts.
„Ich bin Petrop.“ Er sah Marek mit zusammengekniffenen Augen an. „Was ist das für einer?“
„Der Vater des Kindes“, erklärte Sareb.
Der Mann winkte ab. „Er kann nicht bleiben.“
„Lasst das Euer Ehren entscheiden.“ Der Kapitän grinste schief. „Vielleicht bietet sie uns allen einen Beweis ihrer Wertschätzung für dieses zusätzliche Geschenk an.“
„Dann kommt rein.“ Petrop schniefte. „Wenn es ihr nicht gefällt, bekommt ihr einen Beweis für etwas ganz anderes.“
Sie gingen durch eine große Küche, in der
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