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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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siebentausend Neuzugänge aufnehmen. Der DDR -Ministerrat beschließt, »dem Treiben der westdeutschen Revanchisten einen Riegel vorzuschieben«. Am 13. August sperren NVA , Volkspolizei und Betriebskampfgruppen die Sektorengrenze und beginnen mit dem Bau der Mauer. Im Raum Berlin betreuen die Sanitätseinheiten des ostdeutschen Roten Kreuzes während dieser Zeit die Kampfgruppen – jene bewaffneten Milizen, die nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 geschaffen wurden, um künftig jedes Aufbegehren von unten im Keim zu ersticken. Insgesamt besteht das DRK der DDR diese »Bewährungsprobe« nach eigener Einschätzung gut, nur ganz vereinzelt kommt es zu »Unklarheiten« oder gar »Diskussionen«.
    Der Haltung der Staatsregierung folgend, deklariert das Präsidium den Mauerbau als »friedenssichernde Maßnahme gegen den westdeutschen Imperialismus«, die »dem Menschenraub, der Agententätigkeit, der Währungsspekulation ein Ende bereitet«. Sie beweise, so Ludwig in staunenswerter Dialektik, »daß die DDR derjenige Staat ist, der das Banner der Humanität hochhält«. Nur konsequent, dass Generalmajor Walter Breitfeld, stellvertretender Kommandeur der Grenztruppen, zum Vizepräsidenten des Roten Kreuzes ernannt wird. Der Ton der offiziellen Verlautbarungen verschärft sich, und die martialische Erregung wird bis an die Basis und bis an die Peripherie des Landes durchgedrückt. So führt das Kreiskomitee im erzgebirgischen Schwarzenberg binnen einer Woche drei Alarmübungen durch. Für gewöhnlich liegt solchen Übungen als Szenario ein schwerer Verkehrsunfall oder eine Explosion in einer Chemiefabrik zugrunde. Nun aber haben die Sanitätshelfer sich bei einem Tieffliegerüberfall, bei einem Luftangriff mit »radioaktivem Staub« und bei feindlicher Agententätigkeit mit heftigem Feuergefecht zu bewähren. Das Präsidium in Dresden ruft junge Rotkreuzhelfer zum Ehrendienst in der NVA auf. Der Jugendverband startet eine Kampagne gegen das Hören von Westsendern und erklärt seinen Mitgliedern: »In der DDR , von der der Frieden in Deutschland ausgeht, haben die guten Deutschen das Ruder fest in der Hand und steuern einem glücklichen Leben entgegen.«
    Nicht alle jungen Leute scheinen jedoch davon überzeugt. Der achtzehnjährige Peter Fechter wird im August 1962 bei einem Fluchtversuch von drei Grenzsoldaten angeschossen und verblutet elend auf dem Todesstreifen. Einer von 38 Menschen, die an der Mauer bereits im ersten Jahr ihr Leben lassen müssen. Der Fall bewegt das Internationale Komitee zu einer diplomatischen Offensive; möglicherweise lösen die Bilder des hilflos verendenden jungen Mannes eine Art Castiglione-Reflex aus. In einer derart verfahrenen Situation, in der zwischenstaatliche Verhandlungen nicht mehr greifen, fungiert das Komitee traditionsgemäß als Mittler und Mahner. Doch trotz intensiver Gespräche mit Regierungs- und Rotkreuzvertretern beider deutscher Seiten kommen die Konsultationen über Lippenbekenntnisse kaum hinaus. Der Genfer Vorschlag eines »Hauses der Begegnung«, das von beiden Hälften des geteilten Berlin her zugänglich sein soll, wird ebenso abgelehnt wie die Initiativen zur Familienzusammenführung. Werner Ludwig argumentiert, die »Republikflucht« stelle kein humanitäres Problem dar, da die Betroffenen ja zurückkommen könnten. Für die auseinandergerissenen Familien sei das Rote Kreuz ohnehin nicht zuständig, da diese nicht durch einen Krieg voneinander getrennt worden seien. Aus Sicht der Machthaber im Osten erfüllt die Mauer jedenfalls ihren Zweck und bereitet der massenhaften Abwanderung gewaltsam ein Ende.

    Beim symbolträchtigen Besuch von John F. Kennedy in West-Berlin an einem heißen Junitag des Jahres 1963 hat das Rote Kreuz einen Großeinsatz.
    © Rotkreuzmuseum Berlin
    1963 schließt das Rote Kreuz sein letztes Flüchtlingsheim in West-Berlin. An Arbeit mangelt es dem dortigen Landesverband dennoch nicht. Im gleichen Jahr leistet er beim Besuch von John F . Kennedy den größten Sanitätseinsatz nach dem Krieg. Fünfhundert Helfer postieren sich entlang der Fahrstrecke und vor dem Schöneberger Rathaus. Darunter auch Gerhard Reusche, damals im Jugendrotkreuz aktiv: »Das war natürlich die Sache für uns – bis dahin hatten wir nur bei Seifenkistenrennen und Kreuzberger Kiezfesten mitgeholfen. Und nun konnten wir Kennedy, Brandt und Adenauer aus der Nähe erleben – für unsere Leute wurde eine Rettungsgasse unter dem Balkon frei gehalten.« Wegen des

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