Im Zeichen der Menschlichkeit
befürwortet. Reisen nach Polen werden untersagt. Über vier Jahre hinweg schweigt die Mitgliederzeitschrift die Ereignisse im Nachbarland tot, bringt dafür aber seitenlange Berichte über die »Vertiefung der brüderlichen Beziehungen« zur Demokratischen Volksrepublik Nordkorea im Rahmen eines Freundschaftsbesuchs des Dresdener Präsidiums. Inklusive gemeinsamer Feier des 1. Mai und einer Pilgerfahrt zum Geburtsort von Kim Il Sung. Auch dem Tod des Genossen Leonid Iljitsch Breschnew, »eines genialen Führers, dessen ganzes Streben der Befreiung und dem Glück der Menschen galt«, erweist das Präsidium pflichtschuldig seine Referenz.
»Landschaften der Lüge«
Das grimmige Kräftemessen der Systeme nimmt seinen Fortgang. Der Kalte Krieg erlebt einen zweiten Tiefpunkt, eine neue politische Eiszeit setzt ein. Entsprechend schleppend gestalten sich die deutsch-deutschen Rotkreuzgespräche. Mal findet ein Jugendaustausch statt, mal treffen sich die Führungskräfte, doch die Ergebnisse sind bescheiden. Was nicht verwundert, liest man die Direktiven des Dresdener Präsidiums: »Der Charakter des westdeutschen Imperialismus und die zunehmende Gleichschaltung des westdeutschen Roten Kreuzes sind zu entlarven.«
Bereits in den fünfziger Jahren hatte es Anläufe zu einem gesamtdeutschen Rotkreuzgespräch gegeben; nach dem Mauerschock waren die Bemühungen zögerlich wieder aufgenommen worden. Angesichts der grimmigen Konfrontation der Militärblöcke betrachten es beide Seiten schon als Erfolg, dass die Konsultationen überhaupt stattfinden; die gemeinsame Geschichte und die Zugehörigkeit zu einer weltweiten Bewegung erleichtern den Kontakt. Dennoch bleibt das Verhältnis gespannt. Die Suchdienste belauern sich eher, als dass sie zusammenarbeiteten. Der größeren Erfolgsaussichten wegen fragen DDR -Bürger oft in München oder Hamburg an, was die gewollte Passivität des ostdeutschen Pendants bloßstellt. Viele ihrer Briefe werden ebenso als »Hetzpost« beschlagnahmt wie Todesnachrichten der westdeutschen Suchdienste. Dass mehr als eine Million Deutsche in sowjetischen Lagern ums Leben gekommen sind, rührt an ein ideologisches Tabu. Vom Schicksal der politischen Gefangenen in Bautzen oder Berlin-Hohenschönhausen nicht zu reden.
Zu Rivalitäten kommt es auch im Blutspendewesen. Gleich mehrfach beschwert sich das westdeutsche Rote Kreuz, dass ostdeutsche Blutkonserven die Preise verderben würden. Tatsächlich verkauft die DDR zur Devisenbeschaffung im großen Stil Blutplasma in westliche Länder. Nun hätten die Spender vermutlich nichts dagegen, dass ihr Blut einem Patienten in Basel oder Bremen zugutekommt. Nur wird dies aus politischen Gründen verheimlicht, oder die Werber machen ihnen gar weis, dass sie für Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt spendeten. Problematisch sind auch die fehlenden Kontrollmöglichkeiten – bei Komplikationen mit einer Blutkonserve könnte der Ursprung kaum durch den Eisernen Vorhang hindurch zurückverfolgt werden, und es ist nicht auszuschließen, dass Spenden unter Zwang zustande gekommen sind, zum Beispiel in Gefängnissen oder bei der Armee.
Während der Staat im Verborgenen unerbittlich durchgreift, wird in der Öffentlichkeit jenes Gesellschaftsbild aufrechterhalten, das der Historiker Stefan Wolle als »die heile Welt der Diktatur« benannt hat. Bislang noch nicht untersucht ist dabei der Einfluss der Staatssicherheit auf das DRK der DDR . Eine systematische Durchdringung mit Agenten scheint erst Mitte der siebziger Jahre stattgefunden zu haben; oberster Dienstherr der Staatssicherheit im Bezirk Dresden ist damals Hans Modrow. Bis dahin hat man die »offiziellen Konsultationen mit dem Organ« sowie mit dem Zentralkomitee der SED für ausreichend gehalten. Werner Ludwig zeigt sich denn auch irritiert, dass sich nun eine weitere Kontrollinstanz Zutritt verschafft. Binnen weniger Jahre dringt der Geheimdienst »intensiv in das gesamte Geschehen ein«. Agenten arbeiten im Präsidium und im Generalsekretariat, bei der Mitgliederzeitschrift, in den Zentralabteilungen für Jugend, Gesundheitsschutz, Krankentransport und in der Personalabteilung. Die begehrten Auslandsreisen – nach Genf, zu befreundeten Rotkreuzgesellschaften, zu Konferenzen – werden besonders eingehend überwacht: 1982 sind fünf der neun Reisekader inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Als einer seiner Söhne sich in den Westen absetzt, wird Ludwig verschärft beschattet und schließlich zum
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