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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Rücktritt genötigt. Das System, dessen williger Repräsentant er dreißig Jahre lang war, wendet sich gegen ihn.
    Schon der bloße Antrag auf Ausreise stellt eine symbolische Grenzüberschreitung dar und macht bislang unbescholtene Bürger zu Staatsfeinden. Nachdem in der Abteilung Krankentransport gleich acht »rechtswidrige Übersiedlungsersuche« gestellt wurden, gerät sie als »Sammelbecken kriminell-negativer Personen« verschärft ins Visier. Ein Funktionär des Bezirkssekretariats Dresden, der sich zur Ausreise entschlossen hat, wird stundenlang von drei Kadern in die Mangel genommen. Trotzig beruft er sich auf die UN -Menschenrechtscharta und die Schlussakte von Helsinki. Sowohl die Unerbittlichkeit des Systems wie die aufgeregte Widersetzlichkeit seines Opfers werden deutlich, aber auch dessen eigene Verflechtung mit dem Apparat. Insgesamt vermitteln die Stasi-Protokolle des Roten Kreuzes ein anschauliches Beispiel jener »Landschaften der Lüge«, wie der Bürgerrechtler Jürgen Fuchs sie beschrieben hat. Die engmaschige Überwachung erzeugt ein allgemeines Klima der Angst, der Untertänigkeit und der Unaufrichtigkeit. Dass die Spitzel keine produktive Arbeit für die Hilfsorganisation leisten, liegt auf der Hand. Das wirklich Enttäuschende an ihren Berichten ist jedoch deren Belanglosigkeit – nie fällt ein mutiges Wort, nie gerät jemand auch nur ansatzweise in Konflikt mit den Vorgaben des Regimes. Die Kreativität der Kader äußert sich in ganz anderen Bereichen, etwa in ihrem »Drang nach Valuta«: Vor Dienstreisen nach Genf stecken sie zu Hause Konserven ein, und mit den mühsam zurückgelegten Schweizer Franken kaufen sie ihren Ehepartnern dann im heimischen Intershop Geschenke.
    Während in den offiziellen Darstellungen Eigenlob den Ton angibt, wird in den Berichten der Staatssicherheit paradoxerweise freimütig Kritik geübt. Unabhängig voneinander monieren mehrere Spitzel, der Apparat beschäftige sich vor allem mit sich selbst: »Es wurde eine Sitzung lang über das Anbringen eines Briefkastens gesprochen … Seit zwei Jahren stagniert die inhaltliche Arbeit … Sie verstecken sich hinter Phraseologie … Auch hat sich eine gewisse Selbstherrlichkeit breitgemacht.« Während die Staatssicherheit versucht, Maulwürfe »zur Informationsgewinnung beim West- DRK « unterzubringen, fürchtet sie gleichzeitig »ein Eindringen des Gegners« ins eigene Lager. Insbesondere den Suchdiensten der jeweils anderen Seite wird geheimdienstliche Tätigkeit unterstellt, vermutlich zu Recht. Sämtliche Westkontakte, ob offizieller oder privater Natur, werden überwacht, neu entstehende in aller Regel sabotiert, etwa durch Beschlagnahmung der Post. Bei allen deutsch-deutschen Konsultationen, ob in Dresden, in Bonn oder in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin – die Stasi sitzt stets mit am Tisch.
    Vorhang auf!
    Im Juni 1989 machen sich zwei Männer mit schweren Drahtscheren am Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich zu schaffen. Noch vor wenigen Monaten wären sie dafür verhaftet oder gar erschossen worden. Doch das Blatt in Osteuropa wendet sich. Die Solidarność-Bewegung hat wie ein Eisbrecher gewirkt, Gorbatschows Reformkurs die Fronten des Kalten Krieges auftauen lassen. Am Ende ernten Ungarns Außenminister Gyula Horn und sein österreichischer Kollege Alois Mock den Beifall ihrer Entourage und das ungläubige Staunen der Welt. Die Lücke im Zaun gerät zur ersten Laufmasche im Eisernen Vorhang, der bald immer durchlässiger wird.
    Im August suchen über hundert DDR -Bürger Zuflucht in der bundesdeutschen Botschaft in Budapest. Als sie wegen Überfüllung schließt, werden weitere sechstausend Ausreisewillige provisorisch in Ferienlagern und Gewerkschaftsheimen untergebracht. Das Ungarische Rote Kreuz übernimmt gemeinsam mit den westdeutschen Kollegen sowie den Maltesern die Betreuung und Verpflegung. Die Diplomatie kommt auf Touren, und mit Hilfe des Internationalen Komitees können dann zumindest die in der Botschaft verbliebenen Flüchtlinge nach Wien ausgeflogen werden.
    Zwischen west- und ostdeutscher Rotkreuzgesellschaft gibt es in dieser Phase keinen direkten Kontakt, beide stehen aber mit den ungarischen Kollegen in Verbindung. Am 7. September schließlich kündigt ein Fernschreiben aus Dresden den Besuch zweier Delegierter in Budapest an: »Das humanitäre Anliegen des DRK der DDR besteht darin, den in der Ungarischen Volksrepublik befindlichen Bürgern der DDR bei ihrer Rückkehr in

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