Im Zeichen der Menschlichkeit
Viele fordern ein stärkeres politisches Engagement ein, sie empfinden die strikte Neutralität des Roten Kreuzes angesichts himmelschreienden Unrechts als ungenügend. »Unparteilichkeit ja, Neutralität nein«, gibt etwa Bernard Kouchner als Devise für die »Ärzte ohne Grenzen« aus.
Insgesamt wird die Auslandsarbeit in den siebziger und achtziger Jahren so stark ausgedehnt, dass das DRK zu dieser Zeit maßgeblich zur deutschen Entwicklungshilfe beiträgt. 1982 führt es in 45 Ländern Projekte mit einem Gesamtwert von 66 Millionen Mark durch: Gesundheitsstationen in Sri Lanka, Wiederaufbauhilfe in Uganda, Lager für afghanische Flüchtlinge in Pakistan, Krankenhäuser für Kambodscha, Aufbau des Blutspendewesens in Kolumbien und Ecuador. Der mit Abstand größte Posten freilich, fast die Hälfte der Gesamtsumme, geht in ein weit weniger exotisches Land: nach Polen.
Nach dem Streik auf der Danziger Leninwerft und dem Aufbegehren der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność übernimmt das Militär dort die Macht und ruft Ende 1981 den Kriegszustand aus. Die ohnehin schon kritische Versorgungslage spitzt sich weiter zu, als es obendrein zu heftigen Überschwemmungen kommt. Dennoch lässt sich die überwältigende Hilfsbereitschaft in den westlichen Ländern durch die Notlage allein nicht erklären. Sie ist ein politisches Signal, ein symbolischer und mitunter auch romantischer Akt der Unterstützung, der Solidarität mit Solidarność. Die westlichen Regierungen vermeiden eine direkte Einmischung, um der Sowjetunion und der DDR keine Handhabe für einen Einmarsch zu geben. Ein breites Engagement der Öffentlichkeit aber ist durchaus erwünscht. Wie ein Mantra wiederholen Radio und Fernsehen das bis heute bestehende Sonderkonto des Roten Kreuzes: »41 41 41 bei allen Banken und Sparkassen«.
In der Bundesrepublik werden Hunderttausende von Hilfspaketen gepackt. In vielen Ortsvereinen falten Mitglieder des Jugendrotkreuzes die Kartons, bestücken sie wie am Fließband mit Seife, Waschmittel, Fleisch- und Fischkonserven, Zucker, Haferflocken, Kerzen, Streichhölzern. Bekleidung und Schuhe werden separat abgepackt, Milchpulver und Babynahrung ebenso. Als Nächstes stehen die Formalitäten an: Ladelisten, Devisenerklärungen, Visumsanträge. An der innerdeutschen Grenze und später nochmals an der Grenze zu Polen werden die Konvois viele Stunden lang aufgehalten, durchsucht, im Ungewissen gelassen. Immerhin dürfen die Hilfstransporte – und nur diese – noch ins Land. Das Polnische Rote Kreuz hat ein Verteilungsnetz aufgebaut, das jedoch unter Notstandsrecht nur bedingt funktioniert. Briefverkehr, Telefon- und Fernschreibverbindungen sind häufig unterbrochen.
In Aktion: Rotkreuzschwestern präsentieren 1982 ein Standardpaket für die Polenhilfe, mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln im Wert von fünfzig Mark.
© DRK
In entlegenen polnischen Ortschaften werden die Hilfsgüter mitunter auch mit dem Pferdefuhrwerk angeliefert.
© DRK
Klaus Mittermaier, damals Abteilungsleiter beim Münchner Suchdienst, reist drei Monate lang als Delegierter des Internationalen Komitees durch Polen, um den weiteren Bedarf zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Hilfsgüter Bedürftigen zugutekommen. Denn so sehr man sich auch um Transparenz bemüht, so landet vieles doch am Ende auf dem Schwarzmarkt oder gar in den Vorratslagern der Milizen. Mittermaier fährt 13000 Kilometer durchs Land, besucht Krankenhäuser, Kindergärten und Altenheime. Vor den Ausgabestellen bilden sich lange Schlangen. Medizinische Basisartikel wie Spritzen, Binden, Operationsbesteck sowie Medikamente sind in vielen Kliniken und Apotheken knapp. Straßen und Autobahnen wirken wie leer gefegt, dafür müssen die Konvois zahlreiche Kontrollpunkte von Militär und Milizen passieren. Panzer sichern wichtige Kreuzungen.
Die Haltung des Regimes gegenüber den Hilfslieferungen ist zwiespältig. Einerseits sind sie willkommen, da sie die angespannte Versorgungslage entschärfen. Andererseits offenbaren die Kontakte mit dem Ausland die desolate Wirtschaftslage und das Ausmaß der Repression. Neben der Nothilfe betreut das Internationale Komitee teilweise auch die rund zehntausend internierten Regimegegner.
Von nennenswerten Hilfsaktionen durch das Rote Kreuz der DDR ist dagegen nichts bekannt. Mit Blick auf die Unzufriedenheit im eigenen Land wird Solidarność als »konterrevolutionäre Bewegung« verteufelt und das harte Durchgreifen der Militärregierung
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