Im Zeichen der Menschlichkeit
republikanische Gefangenschaft geraten sind, durch Vermittlung des Genfer Komitees nach Deutschland zurückkehren, werden sie in der Wochenschau als Helden gefeiert. Gefangene Deutsche und Österreicher, die auf der Gegenseite gekämpft haben, werden dagegen nach ihrer Überstellung durch das Rote Kreuz umgehend in Dachau inhaftiert. Dort sitzen zu dieser Zeit auch eine Reihe politischer Häftlinge aus dem Umfeld der Sozialdemokratie ein: Hans Litten, Ernst Heilmann, Heinrich Jasper, Julius Leber, Carlo Mierendorff und Kurt Schumacher. Das Internationale Komitee versucht, als Gegenleistung »für das tatkräftige Eingreifen in Spanien« zumindest Auskunft über deren Gesundheitszustand zu erhalten. Eine Antwort ist nicht überliefert. Nur Schumacher hat diese Zeit überlebt.
Parallel rüstet Deutschland zu einem Auslandseinsatz der besonderen Art. Er beginnt Ende 1937 mit einem weithin unbeachteten Vorspiel: Im NS -Gau »Bayerische Ostmark« führen Wehrmacht, Bergwacht und Rotes Kreuz nahe der österreichischen Grenze eine Großübung durch. »Es wurde Ernstfall angenommen. Kriegslage. Die Donau ist Frontlinie.« Die Übung soll, weiß der Berichterstatter, »den Beweis liefern, daß Rotes Kreuz und Bergwacht einsatzbereit und schlagfertig sind«. Wenig später besetzt die Wehrmacht Österreich. Das dortige Rote Kreuz wird aufgelöst und mitsamt Vermögen und Immobilien dem DRK einverleibt. Eine weitere Expansion erfolgt, als das Reich erst das Sudentenland und dann ganz Böhmen und Mähren annektiert. Auch dort wird die nationale Gesellschaft aufgelöst, in Prag und Karlsbad entstehen deutsche Mutterhäuser.
1939 findet während der Internationalen Funkausstellung in Berlin die Schauübung einer Sanitätskolonne statt, direkt im Terrassengarten am Funkturm. Sie wird »in Bild und Ton aufgenommen und unmittelbar gesendet« – das Rote Kreuz kommt zum ersten Mal ins Fernsehen. »Je öfter die Kamera ihre Einstellung wechselt, desto abwechslungsreicher wird das Erlebnis«, belehrt die Stimme aus dem Off.
Solche Schauübungen finden landesweit statt, wobei vor allem die Zahl der Geländeübungen zunimmt. Regelmäßig werden dort Gefechtssituationen erprobt. Mehrfach stellt sich auch »die Luftwaffe mit schweren Bombern zur Verfügung, die einen Angriff durchführten«, wie die Landesstelle XI berichtet, die Teile des heutigen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt umfasst und die allein innerhalb eines Jahres achtzehn Manöver abhält.
Das »Reichsehrenmal« in Tannenberg erinnert nun auch an den Sanitätsdienst.
© Borchert / DRK
Im Juni feiert die Titelgeschichte der Mitgliederzeitschrift Das Deutsche Rote Kreuz die Einweihung eines Ehrenmals für den Sanitätsdienst. Es ist Teil des monumentalen Tannenberg-Denkmals, das die Nationalsozialisten zur Weihestätte eines revanchistischen Totenkults umfunktionieren. Wo Lotte Schmidt als Hilfsschwester ihre Feuertaufe erhielt, wo Armin Wegner sich entschloss, zum Roten Kreuz zu gehen, marschieren nun Zehntausende von Helfern in Reih und Glied auf, um den Grawitz’ schen Parolen zu lauschen. Er preist den Sanitätsdienst, der damals die Verwundeten für die Wehrkraft der Nation erhalten habe, insbesondere aber das Leben des Führers. Derart erhoben, könne das Rote Kreuz nun zu neuen Taten schreiten, bestückt mit Helfern, die »durch einen starken Glauben die Furcht vor dem Tode verloren« haben. Ein gellendes »Sieg Heil« brandet auf. Drei Monate später beginnt der Zweite Weltkrieg.
Gerüchte und Gespenster
Als Seismograph der Zeitgeschichte funktioniert das Rote Kreuz weiter mit gewohnter Präzision. Im Laufe des bis dahin 75-jährigen Bestehens haben seine Helfer schon die unterschiedlichsten Aufgaben übernommen. Doch dass sie nun auch Kartoffeln klauben und Zuckerrüben köpfen, das ist neu. Im Sommer 1939 werden sie im ganzen Reich als Helfer herangezogen, um die Ernte vorzeitig einzubringen. Am 22. August schließlich erhalten alle Kreisstellen ein als »Staatsgeheimnis« deklariertes Einschreiben: Das Personal für den Luftschutzsanitätsdienst ist in Alarmbereitschaft zu versetzen. Zwei Tage später ordnet das Präsidium an, alles zu veranlassen, damit »die von der Wehrmacht gestellten Aufgaben« unverzüglich erfüllt werden können. Selbst eine »längere Dauer des Krieges« wird bereits angekündigt. Am ersten Kriegstag schickt Grawitz noch einen pathetischen Aufruf hinterher: »Die Stunde, dem Schirmherrn des Deutschen Roten Kreuzes den Dank durch die
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