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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Tat abzutragen, ist gekommen.« Zehntausende von Frauen lassen sich nun im Schnellverfahren als Rotkreuzhelferin schulen. Bei einer von ihnen sieht die ganze Nation dabei zu: Als Frau des Propagandaministers weiß Magda Goebbels, sich in Szene zu setzen.
    Trotz aller Gefechtsübungen und Strukturreformen, und trotz eines militärisch klar unterlegenen Gegners – der Ernstfall droht für die Sanitätseinheiten ein Debakel zu werden. Es sind viel zu wenige Berufsschwestern verfügbar, und die heimischen Kolonnen können ihre Aufgaben kaum mehr erfüllen, da ein Großteil der Männer eingezogen worden ist. »Der Krieg sieht in so unmittelbarer Nähe doch anders aus, als wir ihn uns vorgestellt haben«, räumt eine der ersten Schwestern ein. Die Begegnung mit dem Grauen lässt sich nicht üben. Die Zahl der Gefallenen ist schmerzlich hoch – die Schätzungen schwanken zwischen 15000 und 50000 allein auf deutscher Seite –, und obwohl der Feldzug gegen Polen nur sechs Wochen dauert, werden Tausende von Soldaten vermisst. Wie im ganzen Land, so richtet das Rote Kreuz auch im Berliner Bezirk Neukölln, zu dem mittlerweile auch Levys einstige Kolonne aus Britz gehört, eine Nachforschungsstelle ein – ein direkter Vorläufer des Suchdienstes. »Niemand verläßt die Beratungsstelle ohne einen berechtigten Hoffnungsschimmer«, berichtet die Lokalzeitung.

    Alle Landesstellen und auch das DRK-Präsidium richten bereits 1939 Nachforschungsbüros für Kriegsgefangene und »Kriegerverluste« ein.
    © Atlantic / DRK
    Ausländische Hilfsgesellschaften schicken in großem Umfang Lebensmittel nach Polen. Generalgouverneur Hans Frank befindet dies ausdrücklich für gut. Verringern sie doch »die Gefahr, daß die hungernde Bevölkerung zum Aufruhr schreiten könnte, bevor sie stirbt«. Teil dieser Strategie ist es, das Polnische Rote Kreuz weiterexistieren zu lassen, um der Gegenseite weniger Handhabe gegen die Besatzung zu bieten. Allerdings wird es unter strikte Kuratel des DRK gestellt. In der Folge wird dieses Modell für die meisten anderen besetzten Länder übernommen. Das Genfer Komitee erhebt dagegen keine Einwände – auch ein falsches Rotes Kreuz ist besser als gar keines. Umgekehrt ist nie eine nationale Gesellschaft aus der internationalen Rotkreuzbewegung ausgeschlossen worden, so indiskutabel sie sich auch verhalten haben mag.
    Neben diesen Marionettenorganisationen besteht im Ausland meist eine zweite nationale Rotkreuzgesellschaft fort, unterstützt von der jeweiligen Exilregierung. So legt das Polnische Rote Kreuz in London dem Genfer Komitee schon früh eine erstaunlich detaillierte Aufstellung der Konzentrationslager vor. Während Tausende Angehörige der polnischen Intelligenz dort bereits in den ersten Monaten ermordet werden, stellen die deutschen Rotkreuzmedien das Verarzten einiger Kriegsgefangener als angewandte Feindesliebe zur Schau: »So vergelten wir den Polen ihre entsetzlichen Schandtaten.«
    Auch wenn sie durch Einberufungen stark ausgedünnt werden, können die Sanitätskolonnen ihre Aufgaben in der Heimat anfangs noch einigermaßen erfüllen. Die meisten der über 14000 Unfallhilfsstellen bleiben weiterhin besetzt. Die Männer der Hauptunfallwache München lauschen am 8. November 1939 nach einem ruhigen Tag dem Radio und hören Hitlers jährliche Ansprache für die Veteranen der Bewegung. Zwanzig Minuten nach deren Ende schrillt das Telefon: »Sofort alle verfügbaren Krankenwagen zum Bürgerbräukeller!« Mit drei Kraftwagen rücken sie aus, fünf weitere folgen wenig später. Eine gewaltige Explosion hat den Saal verwüstet. Aus den Trümmern bergen sie bis in den Morgen hinein fünfzig Verletzte und acht Tote. Ein Hilfsarbeiter namens Georg Elser hatte versucht, Deutschlands Verhängnis mit einer Zeitbombe aufzuhalten. Es wäre ihm wohl gelungen, hätte Hitler seine Rede nicht früher als gewohnt beendet. Nun danken die Sanitäter »der Vorsehung, die uns den Führer erhielt«.
    Die meisten Mitglieder der Sanitätskolonnen werden bald an die Front geschickt. Als Ersatz kommen zunehmend Jugendliche und Frauen zum Einsatz. Auch beginnt man, die gelichteten Reihen mit ausländischen Krankenträgern und Hilfsschwestern aufzustocken, bevorzugt solchen mit »germanischer Volkstumszugehörigkeit« aus Holland, Dänemark oder Norwegen. In abgeschiedenen Orten wie Hahnenklee im Harz werden sie im Schnellverfahren ausgebildet und in die Reservelazarette geschickt. Nach dem Krieg werden sie in ihren

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