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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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noch einmal bis in die Gegenwart vor. So ist die Lübecker Schwesternschaft kürzlich im Keller ihres Stammhauses auf Berichte gestoßen, in denen die schlimmsten Stunden in der Geschichte der Stadt festgehalten sind: die Nacht vom 28. auf den 29. März 1942.
    Bei Vollmond und klarer Sicht nähert sich ein britisches Geschwader mit über zweihundert Maschinen der alten Hansestadt. Kaum dröhnen die Sirenen, da brausen die Bomber auch schon über das Krankenhaus hinweg. Sie fliegen so tief, dass manche Sprengsätze fast waagerecht in die Häuser krachen. »Es splitterten die ersten Scheiben, Bomben schlugen im Garten ein«, berichtet Schwester Elisabeth aus der Entbindungsabteilung. »Ein kalter Wind blies die Kerzen aus, doch der Feuerschein der Nachbarhäuser ließ noch genug erkennen.« Sie rollen die Neugeborenen in ihren Bettchen auf den Flur und decken sie mit Handtüchern gegen die Splitter ab. Dann hieven sie mit der einzigen greifbaren Trage die frisch entbundenen Mütter eine nach der anderen die Kellertreppe hinab. »Still und tapfer saß dort eine junge Frau, die ihr Kindchen noch erwartete, und bedeutete uns immer, erst für die anderen zu sorgen.«
    Auch die übrigen Stationen schaffen ihre Patienten durchs Treppenhaus in die Keller. Zwischendurch hastet Schwester Julie hoch auf den Dachboden, um nach Brandbomben zu sehen. Es ist ein Dröhnen und Sausen in der Luft, und auf den Wassern der Wakenitz, die das Krankenhaus von der Altstadt trennt, spiegelt sich das Inferno. Lübeck steht lichterloh in Flammen. Gerade als gegen halb eins die ersten Verletzten eingeliefert werden, zerreißt eine Detonation die Fenster der Operationssäle und hebelt die Türen wie mit Riesenkraft aus den Angeln. Es gibt kein Wasser, kein Licht und kein Gas mehr. Bei Kerzenschein operieren die Ärzte im Flur, erst am nächsten Morgen können sie zurück in die eiskalten Säle. Für Julie und ihre Kolleginnen folgen Stunden höchster Beanspruchung – »Man hätte so gern mehr Hände gehabt.« Erst in der darauffolgenden Nacht finden sie etwas Ruhe, da sie sich alle zwei Stunden ablösen. »Wir mußten standhalten, es kamen ja dauernd Verletzte.« Die Anerkennung durch Ärzte und Angehörige tut ihnen wohl. »Und doch haben wir nur unsere Pflicht getan wie jeder andere auch.«
    Zum ersten Mal haben die Briten den Abwurf einer Kombination von Spreng- und Brandbomben flächendeckend über einer Stadt erprobt. 15000 Menschen haben ihr Zuhause verloren. Es ist der Auftakt zu einer mörderischen Luftoffensive, die binnen dreier Jahre etliche deutsche Städte in Trümmer legen wird. Im amtlichen Wehrmachtsbericht aber heißt es zum Untergang von Lübeck nur: »Die Zivilbevölkerung hatte einige Verluste. Nachtjäger und Artillerie schossen zwölf Bomber ab.«
    Zeugen der Zeitgeschichte
    Um Feuerwehrleute und kommunale Helfer für die Wehrmacht freizusetzen, werden der Krankentransport und teilweise auch das Rettungswesen Ende 1942 unter dem Dach des DRK zentralisiert. Schon länger hat es nach alleiniger Zuständigkeit für diesen Bereich gestrebt, sie bis Kriegsende aber doch nur begrenzt erhalten oder aber mangels Benzin, Fahrzeugen und Personal nicht mehr erfüllen können. Auch ein weiterer klassischer Schwerpunkt wird wieder ausgebaut: der Bahnhofsdienst. Vom Knotenpunkt bis zum Provinzbahnhof, überall versorgen Schwestern und Helferinnen hingebungsvoll die durchreisenden Soldaten und Verwundeten mit Erfrischungen. Gefangenentransporte und Deportationszüge dagegen werden ignoriert. Es liegt eine Reihe von Zeugnissen vor, wie die Menschen in den Viehwaggons die Bahnhofshelferinnen um Wasser gebeten haben, halb tot vor Durst und außer sich vor Verzweiflung. »Doch sie blieben unserem Flehen unzugänglich«, heißt es in einem Dokument der Nürnberger Prozesse.
    Das Tagebuch Eva von Gadows lässt hingegen erneut ein erhöhtes Maß an Mitgefühl und Selbstreflexion spüren: »Gegen Mittag fährt ein Zug mit viertausend gefangenen Russen ein. Ausgemergelte, trostlose Gestalten. Vier Tage haben sie nichts zu essen bekommen. Ein brennendes Verlangen steigt in mir hoch, diesen Leuten alles zu bringen, was ich habe, und ich fühle Wut in mir, Wut über meine satte, selbstzufriedene Umgebung, Wut gegen mich selbst, die ich zu feige bin, angesichts dieses Elends etwas Verbotenes zu tun.«
    Über 400000 Frauen sind während des Krieges als DRK -Helferinnen im Einsatz. Viele leisten Vorbildliches, vollbringen nach Meinung eines

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