Im Zeichen der Menschlichkeit
Heimatländern als Verräter angefeindet.
Mit Beginn des Frankreichfeldzugs und der Besetzung von Dänemark und Norwegen dehnt sich das Einsatzgebiet des DRK immer weiter aus. Neuntausend weibliche Mitglieder kommen allein als Nachrichtenhelferinnen für die Wehrmacht in den besetzten Ländern zum Einsatz. Auch betreuen Schwestern und Bereitschaftshelferinnen nun mehr und mehr Soldatenheime. Schon im Ersten Weltkrieg hatte das Rote Kreuz einige dieser klubartigen Etablissements betrieben. Nun aber entstehen sechshundert von ihnen zwischen Nordkap und Nordafrika. Dort entspannen sich die Soldaten bei Skat und Tischfußball, lauschen dem Grammophon und schmökern im Bücherschrank. Die Mitgliederzeitschrift des DRK liest sich zu dieser Zeit fast wie ein Reisemagazin: »Schwestern in der Polarnacht«, »Wüstenkameraden«, »Schönes deutsches Elsaß«. Ob in den Weiten der russischen Steppe oder im »Haus Frontkämpferdank« in der polnischen Tatra – die zivilisatorische Überlegenheit der Besatzer wird stets herausgestellt. Anfangs sind die Quartiere »auffallend unschön und ungepflegt«, doch unter den Händen deutscher Frauen verwandeln sie sich in Oasen der Gemütlichkeit. Nur am Rande nehmen die Schwestern dabei auch medizinische Aufgaben wahr. Sie sollen eher Geborgenheit bieten, weiblichen Charme entfalten und ein Stück Heimat vermitteln. Und zugleich die Soldaten neu motivieren und »den Frontgeist lebendig erhalten«.
Rundlauf in Uniform: In einem Soldatenheim im polnischen Lublin treten Schwestern gegen Offiziere an.
© G. Piper / DRK
Dieser Frontgeist tobt sich zur gleichen Zeit in namenlosen Kriegsverbrechen aus. Zahlreiche Schwestern und Sanitäter müssen aus erster Hand davon erfahren haben, doch nur wenige scheinen je darüber gesprochen zu haben. Eva von Gadow aus Hamburg vertraut zumindest ihrem Tagebuch an, was ein junger Soldat ihr im September des Jahres 1941 bei einem Gläschen Cognac in Weißrussland erzählt: »Wir gehören zur Gespensterdivision. Die überall und nirgends ist, die plötzlich auftaucht und die Russen um die Ecke bringt. Ich tue das, was nicht jeder kann: Ich lasse die Gefangenen ihr eigenes Grab schaufeln und befördere sie dann ins Jenseits.« Was mag sie gedacht haben, als sie zur gleichen Zeit im Zentralorgan des DRK liest, dass »humane Ritterlichkeit Kennzeichen der deutschen Kriegführung überhaupt« sei? Wenig später untersagt das Präsidium allen weiblichen Einsatzkräften, auch nur über »den Zustand der Verstümmelungen und der Verletzten« unter den Soldaten zu sprechen, derlei »Gerüchte« würden die Bevölkerung nur beunruhigen. In Diktaturen verkommt die Wahrheit zum Gerücht.
Die Propagandamaschinerie macht auch vor dem Roten Kreuz nicht halt, im Gegenteil. »Gerade aus dem Mund der Krankenschwester dringt ein freudiges ›Heil Hitler‹ stark zu den Herzen unserer Volksgenossen« – wie alle totalitären Regime verstehen es die Nationalsozialisten, sich die moralische Autorität der Hilfsorganisation zunutze zu machen. Als die Ufa unter dem Titel Bewährung einen Film über das Schwesternleben im Krieg dreht, besetzt sie ihn bewusst nicht mit Stars, sondern mit Laien, um Natürlichkeit und Authentizität zu erzielen. Hatte die Reichskanzlei Sammlungen zugunsten des Roten Kreuzes zunächst verboten – alles Geld und aller Dank sollen NS -Organisationen zugutekommen –, so macht sie 1940 eine erstaunliche Erfahrung: Als unter dem Zeichen des Roten Kreuzes landesweit für das Kriegshilfswerk gesammelt wird, kommen über 220 Millionen Reichsmark zusammen. Weltweiter Rotkreuzrekord – allein, das DRK erhält davon lediglich ein Drittel, der Rest wird an NS -Organisationen verteilt oder verschwindet in schwarzen Kassen. In den Folgejahren werden ähnlich hohe Einnahmen erzielt. Als kleines Dankeschön erhalten die Spender Mini-Alben mit Sammelbildern zu »Des Führers Kampf in Norwegen« oder Kriegsspielzeug aus Plastik: miniaturisierte Minensuchboote und Panzerspähwagen, Flugabwehrkanonen und Sturzkampfbomber.
Die Schreckensnacht von Lübeck
Der systematische Missbrauch des Roten Kreuzes durch Partei und Staat ist umso bitterer, als dadurch auch die tüchtige, redliche und segensreiche Arbeit Zehntausender von Helfern bis heute überschattet und entwertet wird. Die Ereignisse des Krieges liegen nun über siebzig Jahre zurück; vieles ist vergessen, verschüttet, verloren. Und doch wirken sie bis heute nach, und manchmal dringen sie unvermutet
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