Im Zeichen der Menschlichkeit
Nachkriegsjournalisten gar »das einzige Wunder jener Zeit, das sich nicht in Ernüchterung auflöste«. Die Gründe für ihr Engagement sind unterschiedlich: Pflichtgefühl, Helferehrgeiz, Nationalstolz, Abenteuerlust. Die einen wollen der dörflichen Enge entkommen, andere einem als nutzlos empfundenen Leben einen Sinn geben. Für Medizinstudentinnen wie Hanna Fischer ist der Dienst als Schwesternhelferin obligatorisch. Sie kommt in ihrer ostpreußischen Heimat zum Einsatz, in Carlshof bei Rastenburg. Die dortige Nervenheilanstalt ist in ein Lazarett mit tausend Betten umgewandelt worden. Es liegt nur drei Kilometer von der sogenannten Wolfsschanze entfernt, in der das Oberkommando des Heeres sein Hauptquartier hat. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 werden etliche Teilnehmer der Lagebesprechung hier behandelt werden. Zwei Jahre zuvor erlebt Fischer das Lazarett noch als ein fast idyllisches Refugium am Waldrand, obwohl ein Spähpanzer täglich seine Runden dreht und Wachen durchs Dorf patrouillieren.
Eines Tages wird sie überraschend für einen Evakuierungsflug eingeteilt. Ein vornehmer Wagen fährt sie zum Flugplatz, wo Hitlers Maschine auf sie wartet, die, wenn sie nicht benötigt wird, gelegentlich Verwundete nach Königsberg fliegt. Schwester Hanna hat freie Platzwahl: »Hier sitzt sonst der Führer, hier saß Mussolini – machen Sie es sich bequem.« Sie schlüpft in die Pilotenkanzel. Und überfliegt die gesamte Ostfront bis fast zum Schwarzen Meer, der russischen Jäger wegen im Tiefflug. Unter ihr Wälder, Sümpfe, zerstörte Dörfer und Panzer. Am nächsten Morgen übernimmt die Maschine zwanzig Gebirgsjäger aus dem Lazarett von Nikolajew. »Der Rückflug war unruhig, aber ich riss mich zusammen. Als Schwester muss man einsatzfähig bleiben«, erinnert sich die heute 93-Jährige.
Während der Sommerferien 1942 kommt sie im Hinterland von Warschau zum Einsatz. Chirurgische Abteilung, Dienst von sechs Uhr früh bis neun Uhr abends. Zwei Stunden verbringt sie allein mit Fiebermessen, eine weitere mit der Zubereitung der Zwischenmahlzeit: Kommissbrot mit Kunsthonig. Ausflüge unternimmt sie stets nur in Schwesterntracht. »Wir hatten den Rotkreuz-Bonus; die Bewohner entspannten sich, als sie uns sahen.« Zweimal besucht sie das schwer zerstörte Warschau. »In der Straßenbahn saßen die Deutschen vorn, die Polen mussten hinten stehen. Als ob sie Menschen zweiter Klasse wären. Einige Frauen waren elegant geschminkt, was für uns undenkbar war.« Und dann steht sie vor der Mauer des Ghettos. »Ich dachte mir, ich geh da jetzt mal rein. Man wusste, es ist was Schlimmes, Bedrohliches.« In ihrer Tracht betritt sie den Sperrbezirk, sieht elende Gestalten, kranke Kinder. »Ich wollte mit den Leuten reden, wir hätten vielleicht etwas helfen oder ihnen zu essen bringen können, das war ja unsere Aufgabe.« Doch schon nach wenigen Schritten fängt ein Wachposten sie ab. Verstört fährt sie zurück ins Lazarett.
Der Vernichtungskrieg im Osten gehorcht anderen Gesetzen als an den bisherigen Fronten. Verglichen damit verläuft etwa der Afrikafeldzug noch geradezu »gentlemanlike«. Im Osten stehen weder die Soldaten noch das Sanitätspersonal unter dem Schutz der Genfer Konvention. Und die Einsätze erfolgen unter gänzlich unzureichenden, unbarmherzigen Bedingungen. Umso höher sind die Leistungen der Helfer und Helferinnen einzuschätzen, umso unverzeihlicher die millionenfache Opferung von Menschenleben. Die Aufzeichnungen von Hilfsschwester Edith Gehlert gewähren einen Blick in die Abgründe dieser fatalen Unternehmung.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 wird sie von der Leipziger Schwesternschaft an die Ostfront abkommandiert. Die Oberin verspricht ihr nach einjährigem Einsatz die vorzeitige Zulassung zum Examen – bis dahin wäre der Krieg längst wieder vorbei. Als Gehlert im Mai 1946 aus der Gefangenschaft zurückkehrt, besteht die Leipziger Schwesternschaft nicht mehr.
Schon ihr erster Toter im Heimatlazarett konfrontiert sie mit der unmenschlichen Sinnlosigkeit des Krieges. Er stirbt an einem entzündeten Mückenstich an der Oberlippe – Penicillin ist in Deutschland nicht erhältlich. Als sollte sie das ganze Panorama des Leidens kennenlernen, wird Schwester Edith dann in Russland immer wieder anderen Abteilungen zugewiesen: Nierenstation, Chirurgie, innere Medizin, einmal auch einem Lazarettzug. Auf der Augenstation in Schitomir hat sie es vor allem mit
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