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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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meinen Befehl tanzte. Ich hasste sie, wie ich noch nie jemanden gehasst hatte …
    In meiner Benommenheit spürte ich kaum, wie es heller wurde, wie der Wind die Wolkendecke aufriss, wie Licht mit wachsendem Glanz die Luft erfüllte. Und mit einem Mal bewegte sich etwas im Eingang der Höhle. Eine schmale weiße Gestalt trat aus dem Halbdunkel. Ama-no-Uzume war es, die sie als Erste sah. Sie hielt so plötzlich inne, dass sie taumelte. Mit unsicheren Händen strich sie ihr Haar aus dem Gesicht, zog ihr Gewand über die Schultern, befestigte ihre Schärpe. Unvermittelt wurde es still. Flöten und Trommeln schwiegen. Nur weit hinten in der Menge waren noch Händeklatschen, vereinzeltes Stöhnen und Gelächter zu hören. Dann erstarben auch diese Geräusche.
    Ich sah, wie die Königin wankte. Ihre Hand suchte Halt an einem Felsen. Sie musste sehr schwach sein. Ihre Stimme war so leise, dass nur die wenigsten von uns ihre Worte vernahmen.
    Â»Wer stört meine Ruhe? Die Ebene des Himmels und das ›Land-inmitten-der-Schilfrohrfelder‹ haben sich verdunkelt. Und dennoch tanzt Ama-no-Uzume und das Volk lacht …«
    Schenkte man gewissen Gerüchten Glauben, war Ama-no-Uzume in Wirklichkeit keine Frau, sondern ein Fuchsweibchen in menschlicher Gestalt, halb Fee, halb Dämonin. Ich hatte es stets für übertrieben gehalten. Doch ihr Verhalten in diesem Augenblick setzte sogar mich in Erstaunen. Ihr schönes Gesicht belebte sich, ein listiges Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich sah ein Funkensprühen in den schwarzen Tiefen ihrer Augen. Die Hände in die Hüften gestemmt, mit jener Miene schelmischer Herausforderung, die sie allein sich erlaubte, rief sie laut und ungeniert:
    Â»Es gibt hier, meine Königin, eine höhere Majestät als Euch. Darum freuen wir uns und tanzen.«
    Ein bestürztes Raunen ging durch die Reihen. Adlige und Würdenträger tauschten betroffene Blicke. Die Kühnheit der Tänzerin überschritt jedes Maß! Ama-no-Uzume aber wusste genau, dass sie keinen Tadel zu erwarten hatte, dafür umso mehr Wertschätzung und Ruhm. Und wahrhaftig, ihre dreisten Worte schienen die Königin aus ihrem Traumzustand zu erlösen. Sie griff sich verwirrt an die Stirn, bevor sie langsam aus dem Schatten der Felsen trat. Ich sah sie jetzt besser und mein Herz verkrampfte sich. Sie schien um Jahre gealtert. Ihre Gesichtszüge waren abgezehrt, die Lippen blutleer. Schon gab der Regent seinen Brüdern ein Zeichen.
    Sire Koyane und Sire Futodama traten ehrfurchtsvoll der Königin entgegen. In der Hand hielten sie eine Schnur aus Reisstroh, die sie vor den Eingang der Grotte spannten. Die Königin betrachtete sie teilnahmslos. Es schien ihr nicht bewusst, welche List sie anwandten, um ihrer Abgeschiedenheit ein Ende zu bereiten. Nun verneigten sich beide tief.
    Â»Majestät«, sprach ehrfurchtsvoll Sire Koyane. »Ihr könnt nicht mehr dorthin zurückgehen …«
    Sie antwortete nicht. Mit großer Anstrengung tastete sie sich vorwärts. Ihr weißes Gewand schleifte über den Schlamm. Sie zögerte immer wieder, als befände sie sich noch im Dunkel, und blieb an verschiedenen Stellen leicht schwankend stehen. Die Menge hielt den Atem an. Und im selben Augenblick, als die Königin vor den in den Zweigen des »Sakaki-Busches« hängenden Spiegel trat, leuchtete die bronzene Fläche auf; sie schimmerte und glänzte und der erste Sonnenstrahl, einer weiß glühenden Klinge gleich, stieß durch die Wolken und schoss auf die Klippen hinunter.
    Der tosende Jubel, der über Gestein und Wogen brandete, klang wie der Aufschrei der befreiten Erde. Wie ein einziger Mensch fiel die Menge auf die Knie, berührte mit der Stirn den Boden. Inmitten von unzähligen gebeugten Rücken stand ich allein aufrecht; ich allein sah meine Mutter mit geschlossenen Augen ihr Gesicht der Sonne zuwenden. Reglos verharrte sie, mit leicht ausgebreiteten Armen, die Stirn in Licht getaucht. Ihre Züge trugen die Spuren einer fast übermenschlichen Erschöpfung. Immer stärker schien das klare, helle Licht durch die Nebel. Die Dämpfe wirbelten empor, gaben den Blick auf den saphirblauen Ozean frei. Schaumkronen umspülten die Heilige Insel, auf deren Spitze ein Feuer brannte. Der Holzstoß, der ungeheuer hoch sein musste, loderte wie ein flammender Blütenkelch. Auf ihre eigene, geheimnisvolle Weise

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