Im Zeichen der Roten Sonne
Augen.
»Toyo-Hirume-no-Miko«, sprach er. »Ihr steht vor Seiner Durchlaucht, Fürst Iri.«
19
R egungslos betrachtete ich den jungen Mann. Er hatte mandelförmige Augen, gewölbte Brauen, einen lächelnden Mund. Auf seinem ebenmäÃigen Gesicht glaubte ich einen Ausdruck von Ironie zu erkennen. Das war es, was mich warnte. Mein Blick glitt an ihm vorbei, schweifte über die prächtig gekleideten Würdenträger, die anmutigen Frauen. Enige kicherten verhalten, das Gesicht im Ãrmel versteckt oder hinter dem Fächer verborgen. Der Jüngling lächelte nach wie vor, während seine Gefährten in belustigtem Schweigen verharrten. Meine Augen zuckten kurz zu Cho-She. Ausdrucklos, mit steinernem Antlitz, erwiderte er meinen Blick.
Mit einem Mal verstand ich: Der junge Adlige war nicht - konnte nicht - der Fürst sein. Eine Hitzewelle färbte mir die Wangen. Niemals, von niemandem, war ich so gedemütigt worden! Doch ich bezwang meinen Zorn, lieà mir nichts anmerken. Jene, die es darauf absahen, sich auf meine Kosten zu belustigen, sollten enttäuscht werden. Erhobenen Hauptes schritt ich an dem schönen Schützen vorbei, musterte seine Gefährten mit scheinbarer Gelassenheit. Da sah ich ihn endlich. Er hielt sich abseits, hochgewachsen, schlank, gebieterisch und mit funkelnden Augen. Ein kurzer schwarzer Bart hob die Härte seines Kinns noch hervor. Die Silberschuppen seiner Rüstung glänzten auf der purpurnen Seide seines Jagdgewandes. Ãber der hohen, gewölbten Stirn war ein ebenfalls rotes Federbüschel befestigt. An seinem Finger glänzte der goldene Siegelring, das Zeichen des Königtums. Ruhig trat ich auf ihn zu und verbeugte mich vor ihm wie eine Ebenbürtige.
»Ich begrüÃe Euch, Iri-no-Mikoto«, sagte ich schlicht, wobei ich ihn mit dem offiziellen Titel in meiner eigenen Sprache anredete. »Es war eine weite Reise von der Küste des âºLandes-inmitten-der-Schilfsrohrfelderâ¹ bis hierher zu Eurem Königshof.«
Das erstaunte Gemurmel, das sich aus dem Kreis der Anwesenden vernehmen lieÃ, verwandelte sich nun in Lachen und Beifall, während die Augen des jungen Fürsten über meine staubigen Reisekleider, meine zerzausten Haare glitten und sich dann auf mein Gesicht hefteten. Ich verzog keine Miene. Da zuckten Iris Lippen unter dem schwarzen Bart, bevor er sich übertrieben tief verneigte und gleichzeitig in lautes Gelächter ausbrach. Der Anblick seiner gleichmäÃigen, spitzen Zähne verursachte in mir ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Anziehung und Ekel.
»Bei allen Geistern! Mir wurde bereits zur Kenntnis gebracht, dass die Frauen aus der königlichen Linie von Yamatai mit der Gabe des âºzweiten Gesichtsâ¹ geboren werden. Nun erkenne ich zu meinem eigenen Nachteil, dass dies der Wirklichkeit entspricht!«
Er lachte offen und ungehemmt. Wenn mein Stolz sich auch weigerte, die Beleidigung zu verzeihen, so riet mir mein Verstand, sie vorerst zu vergessen. Doch schon fuhr der Prinz fort:
»Zu unserer Zerstreuung und zur Belustigung der Damen pflegen wir uns in den Abendstunden in verschiedenen Geschicklichkeitsspielen zu messen. Gestattet, dass wir das Turnier beenden.«
Ich verneigte mich. Iri gab einen Befehl. Der Diener setzte die Schnur, an der die Bronzescheibe hing, in Bewegung. Unterdessen stellten sich die Schützen in angemessener Entfernung vor dem Ziel auf. Es ging darum, eine möglichst groÃe Anzahl aufeinanderfolgender Pfeile durch die Ãffnung zu schieÃen, noch bevor der erste den Boden berührt hatte. Doch zunächst lieÃen die jungen Adligen die leicht angezogene Bogensehne mehrmals zurückschnellen. Dieser Vorgang war auch mir vertraut. Das tiefe summende Geräusch, das somit erzeugt wurde, sollte die bösen Geister bannen. Dann erst zeigten die Schützen ihr beeindruckendes Können. Fast allen gelang es, in rascher Folge drei oder gar vier Pfeile durch die Scheibe zu schieÃen. Jede Leistung wurde mit Jubel und Beifall belohnt. Doch als Prinz Iri in betont feierlicher Haltung nun selbst vor das Ziel trat, sank gespannte Stille über die Anwesenden. Ich bemerkte, wie ein harter, rücksichtsloser Zug sein Antlitz verwandelte. Die Wangenknochen traten hervor, die Augen verengten sich zu leuchtenden Schlitzen. Ein paar Atemzüge lang verharrte er wie versteinert. Dann legte er den ersten Pfeil an und spannte den
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