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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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unendlicher Behutsamkeit die Flüssigkeit Tropfen für Tropfen ein. Als der Becher leer war, schloss die Königin für einen Augenblick die Augen. Nur ihre stockenden Atemzüge waren in der Stille zu hören. Alle warteten schweigend, bis sie nach einer Weile die Lider hob und mit schwacher Stimme zu ihrem Bruder sprach:
    Â»Herr Susanoo, nehmt das Schwert auf.«
    Sanft ließ er den steifen Körper auf die Matte gleiten. Mit beiden Händen hob er das Schwert und hielt es vor sich. Meine Mutter betrachtete die blanken Klingen, bevor sie das Wort an Iri richtete.
    Â»Tretet näher, Hoheit.«
    Ihre Stimme war kaum noch zu hören. Er befolgte ihren Wunsch mit ausdruckslosem Gesicht, kniete nieder und verneigte sich. Der Atem meiner Mutter flog. Ich sah unter der blassen Haut das stürmische Klopfen ihrer Halsschlagader.
    Â»Schwört bei der heiligen Waffe … Euch nicht von Zorn oder Rache leiten zu lassen … und Euch niemals im Streit gegeneinander zu erheben …«
    Sie rang nach Luft, sprach weiter unter Aufbietung der letzten Kräfte. »Möge das Sternenschwert … Euren Bund für alle Zeiten bezeugen … und Eure Nachkommenschaft wird bestehen … solange das Moos auf den Felsen wächst!«
    Ein Zittern bewegte das Schwert in Susanoos Händen. Das Fackellicht spiegelte sich in den Klingen und ich starrte sie an wie aus unendlicher Ferne. Schon im nächsten Atemzug senkte er die Stirn, und das dichte Haar verbarg den Ausdruck seines Gesichtes, als er mit rauer Stimme antwortete: »Ich schwöre es.«
    Auf Iris Antlitz glitzerten Schweißtropfen. Ich sah, wie seine Lippen unter den Zähnen weiß wurden. Doch wie aus einem inneren Zwang heraus beugte auch er das Haupt und sprach:
    Â»Ich schwöre es.«
    Da hob mein Onkel, Majestät-Wächter-des-Mondes, ehrfurchtsvoll beide Hände:
    Â»Von nun an sei dieses Schwert der Großen Erlauchten Göttin Amaterasu geweiht. Es soll in ihrem Heiligtum ruhen, damit jedem verwehrt sei, es für ehrlose Zwecke zu verwenden.«
    Schwerfällig legte Susanoo die Waffe auf das Kissen nieder. Dann lehnte er sich auf die Fersen zurück und versank in finsteres Schweigen. Die Atemzüge der Sterbenden wurden schwächer. Ich hatte das Gefühl, dass die Schläge meines Herzens das mühsame Auf und Ab ihres Atems begleiteten. Mit letzter Kraft wandte sich nun die Königin mir zu.
    Â»Toyo-Hirume-no-Miko, Tochter von zweifachem königlichem Blut … ich vertraue dir mein Volk an. Leite es in guten und in bösen Zeiten. Majestät-Wächter-des-Mondes wird dir zur Seite stehen …«
    Sie keuchte. Ich sah ihre Halsmuskeln zittern. Doch sie beendete den Satz:
    Â»In allen Dingen … strebe immer nach Gerechtigkeit …«
    Ihre Stimme brach. Schaum trat in ihre Mundwinkel. Ich beugte mich tief auf die Matte. Doch als ich den Kopf hob, sah die Königin mich nicht mehr an, sondern blickte auf ihren Bruder, der sie in den Armen hielt. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Ihre Augen waren weit geöffnet und schauten ihn strahlend und voller Frieden an. Ein inneres Feuer gab ihnen mehr Glanz, als das Licht der Fackeln es vermocht hätte. Er erwiderte ihren Blick, als ob er sich mühsam aus einem Albtraum befreite. Der Anflug eines Lächelns glitt über ihre blassen Lippen. Mit deutlicher Stimme sprach sie: »Hoheit, bitte verzeiht mir.«
    Das waren ihre letzten Worte an ihn. Sie fröstelte und ihr Gesicht wurde mit einem Mal alt und hässlich. Sie dämmerte in Fieberträumen dahin.
    Ich wachte bei ihr die ganze Nacht. Der Arzt von Nimana hatte sein Versprechen gehalten: Die Arznei löste den Muskelkrampf und bescherte ihr einen sanften Tod. Kurz bevor sie starb, öffnete sie ein letztes Mal die Augen, und ihr schwarzer Blick richtete sich in vollem Bewusstsein auf mich. Ihre Stimme war nur noch ein Hauch: »Nach meinem Tod … das Kästchen … vergiss es nicht!«
    Die Königin verschied in der Morgendämmerung, genau in dem Augenblick, als die geweihten Hähne das Aufgehen der Großen Erlauchten Göttin, der Sonne, ankündigten. Und als sich ihre Augen für immer geschlossen hatten, entspannte sich ihr verzerrtes Gesicht, und in ihren Zügen spiegelte sich der Friede des Jenseits wider.
    Während die Priesterinnen den Leichnam wuschen und für die Bestattung bereitmachten, trat ich mit müden Schritten auf

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