Im Zeichen der Roten Sonne
auszusprechen. Es wäre mir eine Genugtuung, wenn der Ehrlose, der die Waffen gegen sein eigenes Volk erhob, festgenommen und bestraft würde.«
Tsuki-Yomi verbeugte sich erneut, doch er blieb ihm die Antwort schuldig. Als wir über die Schwelle schritten, forschte ich in den müden Augen meines Onkels.
»Die Königin?«, flüsterte ich.
Tsuki-Yomi senkte den Blick.
»Noch ist sie am Leben.«
Stickiger Aschedunst lastete in Gängen und Räumen. Wir schritten an regungslosen Wachen vorbei, an Dienstboten, die verstört vor uns auf die Knie sanken. Da und dort beteten Priesterinnen auf weiÃen Matten. Ihr leises Singen, begleitet von den sanften Schlägen der Tempeltrommeln, erfüllte die Stille.
Vor den Gemächern der Königin erwartete uns Masumi, die »Weise Frau«. Sie verneigte sich stumm. Ihr müdes Gesicht schien mir um Jahre gealtert. Ich löste die Schnur von meinem Hals, überreichte ihr die Säckchen und gab ihr die nötigen Anweisungen. Masumi hob die Medizin ehrfurchtsvoll an ihre Stirn.
»Sie wird in Frieden sterben«, sagte sie leise.
Mein Nacken erschauerte und mein Atem ging schwer. Doch schon sprach Tsuki-Yomi einen kurzen Befehl. Ein schmaler Schatten trat aus dem Vorzimmer. Saho, der Kammerdiener meiner Mutter, kniete nieder und schob die Schiebetür auf. Ich glaubte, in seinen Augen einen Schimmer von Angst zu erkennen. Doch schon wandte er den Blick ab und wir betraten das königliche Gemach. Widerlicher, süÃlicher Geruch schlug uns entgegen. Aufgewühlt kniete ich nieder, die Augen gesenkt.
Als ich aufblickte, glaubte ich zu träumen. Im schwülen Halbdunkel kauerte Susanoo auf der Matte, hielt die Königin auf seinen Knien und wiegte sie wie ein Kind. Er hatte die Rüstung abgelegt. Das Schwert mit den sieben Klingen lag vor ihm auf einem weiÃen Kissen. Und als ich das Entsetzen auf seinem Gesicht, den quälenden Schmerz in seinen Augen sah, wurde mir mit einem Schlag die längst geahnte Wahrheit bewusst. Susanoo liebte seine Schwester, er hatte sie schon immer geliebt. Ich begriff seine Auflehnung und Unberechenbarkeit und schlieÃlich auch seine verzweifelte Rache. Sie waren Ausdruck einer Unerschrockenheit, die bis zur letzten Konsequenz alle herkömmlichen Formen sprengte. Aber nicht nur er, sondern auch meine Mutter und sogar auch ich waren mitschuldig an dem tragischen Geschehen, das unser Volk ins Unglück gestürzt hatte.
Ich wusste, dass sich meine Gedanken trotz meiner Selbstbeherrschung in meinen Augen spiegelten. Als Susanoo aufblickte, sah er, was in mir vorging. Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Er richtete sich auf und zischte: »Hinaus!«
Doch meine Mutter öffnete die Augen und sah zu Iri hinüber. Ihre bleichen Lippen bewegten sich. »Willkommen, Hoheit!«, stieà sie kaum hörbar hervor.
Susanoo biss die Zähne zusammen und schwieg. Den Helm unter dem Arm, das Schwert an der Seite, verneigte sich Iri vor der Königin. Seinen Gegner schien er völlig zu übersehen.
»Majestät«, sprach er kalt und ruhig. »Ich habe den Schwur des Pfirsichbaumes gehalten.«
»Es war so vorbestimmt«, sagte meine Mutter leise.
Sie rang nach Atem. Die Fackel beleuchtete ihr Gesicht und ich erschauerte. Das Gift hatte ihre reinen Züge entstellt und zerstört. Ihre Augen lagen in tiefen schwarzen Höhlen. Ihr ganzer Körper war gelähmt, während sich dort, wo die Pfeilspitze eingedrungen war, eine groÃe entzündete Wunde gebildet hatte, von dunkelvioletter, fast schwärzlicher Farbe.
Abermals glitt die Schiebewand geräuschlos zur Seite. Masumi trat ein. Vorsichtig trug sie ein GefäÃ, das mit einem weiÃen Tuch bedeckt war.
Ich verneigte mich vor meiner Mutter.
»Bitte trinkt diese Arznei!«
Ohne den Kopf zu bewegen, betrachtete sie mich aus weit geöffneten Augen.
»Zu spät â¦Â«, hauchte sie.
Ich rang die Hände und flüsterte verzweifelt:
»Ich flehe Euch an, dieses Heilmittel nicht von Euch zu weisen. Es soll Euch die letzten Stunden erleichtern.«
Die Augen der Sterbenden lieÃen nicht von mir ab.
»Ich werde trinken«, sprach sie.
Doch als sich die »Weise Frau« über die Königin beugte, nahm ihr Susanoo mit einer Geste, die keinen Widerspruch duldete, das Gefäà aus den Händen. Er schob seinen Arm unter den Kopf der Sterbenden und flöÃte ihr mit
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