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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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meiner Gerissenheit abhängig geworden; er lebte wie ein unwissendes Tier, kaum besser als ein blutsaugendes Insekt, durch und durch verdorben, ein Plünderer, der allem, was er berührte, das Leben stahl; ein Hurenmeister mit ganzen Kolonnen von Mädchen, die er aus den Indianerdörfern im Landesinneren entführt hatte und nun verkaufte, bis ihr Äußeres verfiel, um sie dann wie Abfall auf die Straße zu werfen. Sein Gesicht, das Rasseln in seiner Nase, wenn er durch den Mund atmete, das Rauschgift und der Alkohol, die er sich beide in Massen einverleibte, selbst die stupide Art, wie er aß – das alles war mir ekelhaft. Das Todesurteil an ihm zu vollstrecken, sollte der höchste Ausdruck meines freien Willens sein.
    Ich schlich mich eines Nachts in seine Villa und schnitt ihm mit einem Rasiermesser die Kehle durch, als er schlief. Es erforderte wenig Anstrengung; als erstes durchtrennte ich die Stimmbänder, damit er nicht mehr schreien konnte. Als er aufwachte, drückte ich seinen Körper ins Bett und sah zu, wie das Leben aus ihm herausrann.«
    In seinen Gedanken verloren, sah Jack aus, als erzähle er von einem Buch, das er einmal gelesen hatte. Doyle konnte sich nicht rühren.
    »Ich fühlte mich ruhig. Leer. Mitleidlos wie jener Adler, als er eine Ratte in den Klauen hielt. Ich spürte nichts von einem geheiligten Geist oder einer Seele, die den Körper verließ; keine Engel beobachteten uns aus der Höhe. Und ich spürte keine Reue. Alles, was ich fühlte, war die harte Gleichgültigkeit des Urwalds. Ich hatte die Bestätigung, die ich gesucht hatte. Mein Experiment war ein Erfolg.
    Es gab eine Komplikation: eine Zeugin, eine Frau, die ins Nachbarzimmer gekommen war, um sich zu waschen. Ich hörte ihre Bewegungen, als ich gehen wollte. Es war Rina.«
    Doyle erschauderte.
    »Ganz recht – das schöne, lächerliche Mädchen, mit dem ich zusammengelebt hatte. Sie war entsetzt über das Verbrechen, das sie mich hatte verüben sehen. Aus ihr war inzwischen eine Hure geworden; Montes hatte sie angeworben. Sie weinte und erzählte mir, daß sie vor lauter Verzweiflung auf dieses Leben verfallen sei, nachdem ich sie verlassen hätte. Ich hätte sie ebenfalls umbringen sollen, gleich an Ort und Stelle, aber ihre Anwesenheit erschien mir als derart merkwürdiges Zusammentreffen, daß ich mir sagte, es könne kein Zufall sein, es müsse eine Bewandtnis damit haben, die sich am Ende offenbaren werde. Was meine Entscheidung tatsächlich beeinflußte, war vermutlich eine Art Zärtlichkeit. Also ließ ich sie leben. Half ihr, aus dem Haus zu entkommen. Machte sogar Pläne, sie mitzunehmen, wenn ich das Land verließe, was ich umgehend zu tun gedachte.
    Und ich hatte recht. Daß ich sie gefunden hatte, bedeutete tatsächlich etwas. Zwei Tage später nahmen mich zwanzig Männer, die für Diego Montes arbeiteten, gefangen, als ich im Begriff war, das Schiff nach Belize zu besteigen. Rina hatte mich am Hafen treffen sollen; ich hatte sie für ungefähr eine halbe Stunde sich selbst überlassen, damit sie sich einen Hut kaufen konnte, und sie hatte mich verraten. Ihr lag nichts an mir. Aber hier war ihr freier Wille am Werk, verstehen Sie. Steht uns allen zur Verfügung; kein Widerspruch.
    Sie legten mich in Ketten und warfen mich in einen Käfig; es war eine Grube, die im Hof des Ortsgefängnisses in den Lehm gegraben und mit Stahlplatten zugedeckt worden war. Die Dunkelheit war nicht so strapaziös für mich, wie sie erwartet hatten. Aber diesmal hatte ich kein Wasser, und die Temperatur stieg tagsüber auf fünfzig Grad. Die Wärter benutzten die Grube als Latrine. Drei Tage vergingen, bevor sie mit mir sprachen. Sie wollten mein Geständnis; Rina hatte mich bereits als Mörder identifiziert, aber sie waren entschlossen, es aus meinem Munde zu hören.
    Als sie glaubten, ich sei in ihrer Grube hinreichend geständig geworden, brachten sie mich in einen Raum, der leer war bis auf einen viereckigen Block aus weißem Marmor in der Mitte. Rot besudelt. Mit eisernen Arm- und Fußfesseln am Sockel. Sie fesselten mich kniend an diesen Stein und legten meine Hände oben auf die Fläche. Die Wärter wechselten sich ab; sie stiegen auf den Block und traten auf meinen Händen herum. Trampelten darauf. Manche tanzten. Ließen schwere Steine fallen. Ich hörte die Sehnen reißen, die Knochen splittern, sah mit an, wie sie einen Finger zur Unkenntlichkeit zermalmten, bis er nur noch aus Brei und verfilzten Fasern bestand. Es dauerte

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