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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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bestand Eileen darauf, sich persönlich um Rabbi Stern zu kümmern; sie warnte die Mitglieder der Truppe: Was immer ihn da erwischt habe, berge womöglich ernste Ansteckungsgefahr, was mehr als hinreichend war, um einen Haufen abergläubischer Schauspieler auf gesundem Abstand zu halten. Bendigo beobachtete, wie Eileen und ein hochgewachsener, dünner Mann in einem schlechtsitzenden, formellen schwarzen Anzug Rabbi Stern dabei halfen, die Stufen des Gepäckwagens herunterzuklettern, wo er seit seinem ›Anfall‹ geruht hatte.
    Stern ging langsam, steifbeinig und vornüber gebeugt und stützte sich auf die Arme der beiden; er hatte noch seinen Hut auf und war trotz der brutalen Mittagshitze halb in eine Wolldecke gehüllt; sein langer weißer Bart ragte aus ihr hervor, aber sonst war nicht viel von ihm zu sehen. Eileen und der hilfreiche Fahrgast – er war ein Arzt, der zufällig im Zug gewesen war, behauptete Eileen, obwohl, wenn er Arzt war, wo war dann seine Tasche? – führten den Rabbi ins Stationsgebäude, wo er für sich allein auf einer Pritsche im Fahrkartenschalter ausruhen konnte. Irgend etwas an dem Arzt und dem Anzug, den er trug, kam Bendigo bekannt vor, aber seine Gedanken wandten sich organisatorischen Problemen zu, bevor ihm irgendein Licht aufgehen konnte.
    Kulissen und Kostüme wurden auf die Planwagen geladen, die Rymer für die letzte Etappe von einem Mietstall am Ort geliehen hatte – es waren etwa sechzig Meilen auf holpriger Straße. Die Nacht sollten sie unterwegs in einer bezaubernden kleinen Herberge namens Skull Canyon verbringen. Eileen gewann mühelos den Streit mit Bendigo über die Frage, ob Rabbi Stern mit ihnen Weiterreisen dürfe; jawohl, Jacob sei kräftig genug für die Fahrt, und nein, wenn Bendigo sich weigerte, ihn mitzunehmen, dann würde sie auch in Wickenburg bleiben, und wenn das bedeutete, daß sie ihre Vorstellungen im Neuen Dorf oder der Siedlung der Seligen oder wie immer dieses Kaff heißen mochte, versäumte, dann wäre das eben der Preis, den Rymer dafür zahlen müßte. Ihre Zweitbesetzung war eine trübe Tasse, die nie im Leben eine ganze Vorstellung ohne einen Nervenzusammenbruch überstehen würde, und in Anbetracht des nahen Endes dieser Tournee würde Rymer nicht im Traum daran denken, das nötige Kleingeld auszugeben, um seine Hauptdarstellerin angemessen zu ersetzen.
    Schauspielerinnen! Alles geriet zum Melodrama! Eine bizarre Verschossenheit, die ebenso unerbittlich zuschlug wie das Gelbe Fieber oder der Wüstenwahnwitz, oder was für eine mysteriöse Krankheit diesen Rabbi sonst ereilt haben mochte. Nie wieder, schwor sich Rymer, würde er sich den Launen einer Frau ausliefern. Bestimmt nicht, wenn er erst siegreich zum Broadway zurückgekehrt wäre – halt: Ein Geistesblitz!
    Warum sollte er für die Rolle der Ophelia nicht einen hinreißenden Knaben suchen? Es war ja nicht so, als hätte Shakespeare es nicht seinerzeit genauso gemacht; alle großen Frauenrollen waren ursprünglich für Knaben geschrieben. Das war es: die Wiederbelebung einer großen Tradition! Und warum dabei stehenbleiben? Warum konnte ein Mann nicht auch die Gertrude spielen und jede andere weibliche Rolle? Warum nicht ein für allemal Schluß machen mit diesen lästigen Weibern? Machten sowieso nichts als Ärger, und die Kritiker würden ihm stehend applaudieren für diese Verbeugung vor den Klassikern!
    Eine brillante Idee, Bendigo: Siehst du? Sogar diese Wolke hat einen Silberstreifen.
    Aber Eileen gab sich nicht zufrieden und erlegte ihm eine weitere unerträgliche Bedingung auf: Rabbi Stern müsse in einem eigenen Wagen fahren. Er gehöre in Quarantäne, argumentierte sie folgerichtig; bisher seien unter den Schauspielern gottlob noch keine Symptome aufgetreten, aber wollte Bendigo denn riskieren, daß seine ganze Truppe sich ansteckte? Schön, Rymer war auch mit dem Wagen einverstanden, und dachte sich: Nicht mehr lange, und ich bin dich los, du naseweises Flittchen.
    Und so zockelte der Spitalwagen in einem behaglichen Abstand hinter den anderen her und bildete die Nachhut des Fünf-Wagen-Zuges, der Wickenburg nun verließ. Hinten saßen der Rabbi und Eileen, die nach besten Kräften die Florence Nightingale spielte. Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, spähte der hochgewachsene dünne Arzt – dessen Ziel zufällig ebenfalls The New City hieß und der den Planwagen kutschierte – durch den löcherigen Jutevorhang zu der Krankenschwester und ihrem Patienten

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