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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Mehr als alles andere im Leben habe ich mir gewünscht, zu sein wie Sie. Ich bin entsetzt. Entsetzt und bitter enttäuscht. Wenn Sie das Resultat eines Lebens sind, das gegen allen herkömmlichen Brauch gelebt wurde, dann danke ich Gott für die Gesellschaft, dann danke ich Gott für die Gesetze des Menschen. Sie haben das alles hinter sich gelassen, Sie leben außerhalb unseres Bezirks.«
    Jack drehte sich langsam auf seinem Platz um und sah Doyle an. Sein blasses Gesicht war jetzt kalkweiß, und die Narbe an seinem Unterkiefer leuchtete rot und strahlte Anspannung und Verzweiflung aus. Sein Mund war offen, und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen.
    »Ich habe niemals behauptet, das alles habe keine Konsequenzen«, wisperte er rauh. »Die Konsequenzen sind es ja, was ich beschreibe.«
    »Dann lassen Sie uns eines klären: Erzählen Sie mir das alles, um mein Mitgefühl oder meinen Beifall zu erhalten –«
    »Nein –«
    »– denn wenn Sie Absolution wollen, muß ich Ihnen sagen, daß ich weder die Befugnis noch die Neigung habe, sie Ihnen zu erteilen.«
    »Nein, nein. Ich dachte … alles, was ich erhofft hatte … eher so etwas wie …« Jacks Brust hob sich in einer jähen Aufwallung von unbezwingbaren Gefühlen; sein Atem bebte heftig, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. »… Verständnis. Sie, gerade Sie. Ich dachte, Sie könnten es vielleicht … verstehen.«
    Jack atmete scharf ein, und dann schluchzte er. »Ich weiß nicht … wer ich bin. Ich weiß nicht, wie … ich weiß nicht, wie ich leben soll.«
    Doyle beobachtete entsetzt, wie der Mann vor ihm in katastrophaler Weise zerfiel. Seine verkrüppelten Hände krallten sich krampfhaft in den Stoff der Sitze. Tränen flossen ihm aus den geröteten Augen. Eine ganze Weile saß er stocksteif aufrecht; dann sackte er zusammen, als sei seine Wirbelsäule eingeknickt.
    »Ich bin so … beschämt … so zutiefst beschämt über das,
    was ich getan habe … was aus mir geworden ist. Wie er. Sie haben recht: wie er.« Jacks Haß gegen sich selbst reichte so viel tiefer, als irgend jemand anders ihn hätte empfinden können. Doyle verschlug es die Sprache. »Ich hätte sterben sollen, ehe ich es geschehen ließ, ich hätte den Mut haben sollen, mich umzubringen, aber ich konnte es nicht … ich konnte es nicht …«
    Die Worte sprudelten aus ihm hervor, von Schluchzen zerhackt. »Habe mir eine Rasierklinge ans Handgelenk gedrückt … eine Pistole in den Mund geschoben … hatte Angst, es zu Ende zu bringen. Konnte es nicht, hatte solche Angst vor dem Sterben, vor einer Leere, die noch größer wäre als die … die ich erlebte. Diese Angst … allein … hielt mich am Leben. Schlimmer als ein Feigling. Schlimmer als ein Tier … Gott … Gott, hilf mir, bitte, Gott, hilf mir …«
    Jack krümmte sich und schluchzte, daß es schien, als werde sein Herz unter der Anspannung zerbersten. Das Gebrüll eines Verwundeten brandete in mächtigen Wellen aus ihm hervor und spülte Doyles Zorn hinweg; Mitleid erhob sich in ihm, und die Erinnerung an das Gute in diesem Mann. Er streckte die Hände nach ihm aus, der jetzt so weit jenseits alles menschlichen Trostes zu sein schien.
    »Jack, nein. Nicht, Jack.«
    Als Doyles Hand die seine ergriff und umfaßte, erstarrte Jack; er war außerstande, irgendwelchen Trost anzunehmen, denn seine Scham war noch größer als sein Schmerz. Sein Schluchzen verebbte. Er zog seine Hand weg, stand auf, wandte sich zur Wand und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Schauer liefen ihm über den Rücken, als er um Beherrschung rang.
    »Verzeihen Sie mir«, flüsterte er. »Bitte verzeihen Sie mir. Es ist schon gut.« Jack schüttelte einmal kurz den Kopf und flüchtete dann aus dem Abteil, ohne sein Gesicht zu zeigen, ohne sich umzudrehen. Doyle lief ihm nach auf den Gang, aber Sparks war schon nicht mehr zu sehen.
     
10
     
    Anscheinend war der Rabbi irgendwo zwischen Phoenix und Wickenburg krank geworden; eine halbe Stunde, nachdem der alte Mann hinausgegangen war, um sich die Beine zu vertreten, war ein Schaffner in den Wagen gekommen und hatte Eileen leise gebeten, ihn zu begleiten. Ein paar Minuten später kam sie zurück und bat um eine Flasche Schnaps – Bendigo hatte nicht die Absicht, seine herauszurücken –, ein Bühnenarbeiter borgte ihr eine, und als sie wieder hinausging, nahm sie auch ihren Schminkkoffer mit; der Himmel mochte verhüten, daß eine Frau den einmal zurückließ.
    Als sie in Wickenburg aus dem Zug stiegen,

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