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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Geisteskontrolle lebten, die er jemals gesehen hatte; alle seine Versuche, sich unter die Bewußtseinsoberfläche der Arbeiter vorzutasten, hatten sich als nutzlos erwiesen. Wie oder warum diese Gruppenillusion sie so heftig in ihrem Griff hatte, konnte er nicht feststellen; eine kahle, undurchdringliche Mauer umgab ihre Gedanken. Aber er spürte, daß die Energie, die diese Menschen beherrschte, bereits anfing, zu verfallen.
    Und aus irgendeinem Grund waren diese Kinder noch frei, sogar glücklich. Lebten hier zusammen, getrennt von ihren Familien.
    Sie warten, bis sie das richtige Alter erreicht haben, erkannte Kanazuchi. Wie Rancher, die eine Kälberherde großziehen.
    Eines der Kinder, ein kleines, lockenköpfiges Mädchen, verfolgte einen leuchtend roten Ball bis an den Zaun. Der Ball rollte unter dem Draht hindurch und blieb vor Kanazuchis Füßen liegen. Er hob ihn auf und hielt ihn ihr entgegen. Sie schaute ihn schüchtern an. Mit einer geschickten Handbewegung ließ er den Ball verschwinden; dann langte er durch den Zaun und holte ihn hinter dem Ohr der Kleinen wieder hervor. Mit einem entzückten Aufschrei des Erstaunens nahm sie ihn in Empfang und rannte lachend zu den andern zurück.
    Einer der Erwachsenen hinter dem Zaun hatte die kurze Begegnung gesehen; Kanazuchi zauberte wieder das tote Lächeln auf sein Gesicht, winkte milde und ging davon.
    Ein doppelstöckiges Lagerhaus kam in Sicht; es stand abseits der Hütten auf einem freien Platz. Er wartete, bis niemand in der Nähe war, ehe er zur Wand hinüberging. Ein scheunentorartiges Doppelportal stand ein Stück weit offen; zwei gähnende Weißhemden mit Gewehren gingen davor auf und ab. Kanazuchi schlich langsam außen herum zur Rückseite, wo er eine einzelne Tür fand. Er rüttelte am Griff, drehte ihn leise mit all seiner Kraft, bis er nachgab, und schlüpfte dann hinein.
    Stapel von Holzkisten, mit Planen bedeckt und mit Seilen am Boden festgezurrt, bedeckten den größten Teil der Fläche. Kanazuchi ging zwischen zwei Reihen von Kistentürmen hindurch, sie waren so hoch wie er selbst. An einer Stelle, wo er vom Tor aus nicht zu sehen war, schnitt er das Seil, das einen Stapel sicherte, durch und stemmte eine Kiste auf. Ein Dutzend Gewehre. Er schätzte, daß hier insgesamt mehr als tausend dieser Waffen lagerten.
    Eine Reihe unregelmäßig geformter, verhängter Gegenstände stand ihm gegenüber auf der anderen Seite. Er hob die Segeltuchplanen hoch. Vier rundläufige Kanonen auf soliden Dreifüßen. Stapel von unzähligen kleinen Kästen standen daneben, auf die mit Schablone das Wort »Gatling« geschrieben war; sie enthielten Rollen von Munitionsgurten. Er hatte so etwas noch nie gesehen, aber er hatte von diesen Waffen gehört: Maschinengewehre. Er hatte auch gehört, daß ein mit einem solchen Maschinengewehr bewaffneter Mann auf freiem Gelände in weniger als einer Minute mehr als hundert Menschen umbringen konnte.
    Ein Geräusch in der Nähe. Leise rasselndes Schnarchen. Er ging ihm nach und fand ein Weißhemd, das drei Reihen weiter auf dem Boden lag und schlief, ein Gewehr neben sich. Ein asiatisches Gesicht.
    Ein Chinese.
    Kanazuchi hob das Gewehr auf, beugte sich vor und kitzelte die Nase des Mannes mit dem Lauf. Der Mann erwachte schwerfällig, zeigte aber keinerlei Reaktion, obschon ihm die Mündung ins Gesicht starrte.
    »Warum schläfst du im Dienst?« fragte Kanazuchi auf Mandarin.
    »Wirst du mich melden?« fragte der Mann ausdruckslos.
    »Wenn ich nun ein Eindringling gewesen wäre?«
    »Sprich nicht diese Sprache«, sagte der Mann auf Englisch. »Das ist gegen die Regeln.«
    »Ich werde dich melden, wenn du mir meine Fragen nicht beantwortest«, sagte Kanazuchi auf Englisch.
    »Du solltest mich so oder so melden. Ich habe gegen die Regeln verstoßen. Ich muß bestraft werden«, sagte der Mann beinahe eifrig; zum ersten Mal zeigte er ein Gefühl. »Du bist verantwortlich.«
    »Weißt du, was mit dir passieren wird?«
    »Man wird mich zum Reverend schicken.«
    »Und was wird der Reverend mit dir machen?«
    »Er wird mich bestrafen.«
    »Wie?«
    »Du mußt ihnen sagen, was ich getan habe. Das ist die Regel. Wenn du es ihnen nicht sagst, verstößt du gegen die Regeln –«
    Kanazuchi packte den Mann bei der Gurgel und schnitt ihm das Wort ab.
    »Wann bist du hierher gekommen?« zischte er.
    Der Mann starrte ihn nur an; daß ihm die Luft abgedrückt wurde, schien ihn gar nicht zu stören.
    »Wie lange ist es her, daß du hierher

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