Im Zeichen der Sechs
einer Stunde.«
»Haben Sie eine Ahnung, was zum Teufel hier vorgeht?«
»Sie stehlen Gewehre von der US-Army; damit fängt’s mal an.«
»Gewehre? Für diese Leute?«
»Und jeden einzelnen von ihnen trennen nur ein paar Schaufeln Erde vom Grab.«
Eine stämmige schwarze Frau mittleren Alters kam heran und baute sich vor ihnen auf; in der Hand hielt sie ein Exemplar der gedruckten Regeln. »Entschuldigt, Freunde«, sagte sie mit einer derangierten Grimasse, »aber es ist gegen die Regeln, daß Besucher ohne Eskorte in The New City herumlaufen.«
»Danke sehr, Ma’am, aber der Reverend hat gesagt, es ist okay«, antwortete Frank und lächelte zurück.
»Wir haben gerade mit ihm gesprochen«, sagte Eileen und grinste wie eine Idiotin. »Er schickt Ihnen liebe Grüße.«
Die Frau blieb wie vom Donner gerührt stehen; sie gingen um sie herum und setzten ihren Weg fort.
»Rauchen ist auch verboten«, rief die Frau ihnen nach, aber es klang schon weniger zuversichtlich.
Eileen winkte und schnippte ihre Zigarette über die Schulter.
»Ich wollte Ihnen deshalb einen Vorschlag machen«, sagte Frank. »Falls Sie Lust haben sollten, zu verschwinden, bevor Onkel Sam hier nach seinen Gewehren sucht und die Kacke anfängt zu dampfen – verzeihen Sie diesen Ausdruck … also, ich würde Ihnen mit dem größten Vergnügen dabei behilflich sein, schleunigst von hier abzuhauen.«
Sie blieb stehen und sah ihn an. Jawohl: Echte amerikanische Aufrichtigkeit.
»Das ist ein sehr freundliches Angebot, Frank.«
»Mache ich gern.«
»Aber ich fürchte, ich kann im Moment nicht weg. Nicht ohne Jacob.«
»Der alte Mann.«
»So alt ist er nun auch wieder nicht. Finden Sie, daß er so alt aussieht?«
»Er ist doch nicht Ihr Mann, oder?«
»Nein.«
»Gut«, sagte er mit dem ersten echten Grinsen, das sie sah, seit sie das Hotel verlassen hatten. »Dann nehmen wir Jacob mit.«
»Ich fürchte, so einfach wird das nicht gehen«, sagte sie.
Er schaute sie an. »Für mich eigentlich auch nicht.«
Sie sah sich um, warf einen Blick zu den Weißhemden auf der Straße und machte eine diskrete Handbewegung. Sie bogen um die Ecke in eine menschenleere Gasse.
»Sie fangen an«, sagte sie.
Frank schob den Hut in den Nacken und hakte die Daumen in seinen Gürtel. »Ich werd’ Sie nach dem Chinamann fragen müssen.«
Sie machte schmale Augen und musterte ihn. Sie mußte zugeben, daß er für einen so gutaussehenden Mann gar keinen so mangelhaften Charakter zu haben schien.
»Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche ungewöhnlichen Träume gehabt, Frank?«
Frank überlegte kurz. »Nein, Ma’am.«
»Dann muß ich Ihnen zunächst eine sehr merkwürdige Geschichte erzählen.«
»Kommen Sie herein, kommen Sie herein, Rabbi Jacob Stern.« Der Reverend deutete mit einer Bewegung seines Armes auf ein Samtsofa in einer Ecke seines Arbeitszimmers. »Ich bin entzückt, zu sehen, daß Sie mir heute Gesellschaft leisten können.«
»Es ist mir gelungen, trotz meines vollen Terminkalenders ein bißchen Zeit zu finden«, sagte Jacob.
Der Reverend stand nicht von seinem Schreibtisch auf und machte auch keine Anstalten, ihm die Hand zu geben. Jacob nahm neben einem großen Globus auf einem Eichenholzständer auf dem Sofa Platz. Abgesehen von einer vergoldeten byzantinischen Ikone an der Wand hinter dem Schreibtisch und einer King-James-Bibel, die aufgeklappt auf einem Lesepult lag, deutete nichts darauf hin, daß dieses Zimmer das Büro eines Geistlichen war. Die Möblierung war üppig, ja, opulent wie auf einem Bild von John D. Rockefellers Arbeitszimmer, das Jacob einmal gesehen hatte. Die Luft war schwer und kühl. Nur das strahlend weiße Licht, das sich in feinen Streifen durch hölzerne Fensterläden in das schattige Zimmer schnitt, erinnerte daran, daß dieses Haus mitten in einer Wüste stand. Stäubchen tanzten in den Lichtstrahlen und kreisten über dem schweren Perserteppich. Seine Augen mußten sich an das Zwielicht erst gewöhnen; Jacob konnte den Reverend, der im Dunkel hinter seinem Schreibtisch saß, nicht genau erkennen.
»Ein sehr komfortables Zimmer«, sagte Jacob.
»Gefällt es Ihnen? Ich habe mein Haus mit den dicken Lehmziegelmauern bauen lassen, wie sie für die heimische Architektur so charakteristisch sind; sie halten die Hitze bis weit in den Nachmittag hinein in Schach. Die Möbel sind übrigens lauter Spenden, Spenden von großzügig bemittelten Anhängern. Ich finde nicht, daß ein Geistlicher ein
Weitere Kostenlose Bücher