Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
ich Sie nicht unterbringen; Sie haben sich den Bart abrasiert, mein Alter. Das Parlament der Religionen, letztes Jahr in Chicago, nicht?«
    Jacob spürte, wie das Pochen in seiner Brust herannahte wie die Schritte eines Riesen. Er nickte.
    »Sie sind kein Pensionär auf Vergnügungsreise. Sie sind ein Gelehrter der Kabbala, wie ich mich erinnere, und zwar einer der führenden. Die Kabbala ist eines der heiligen Bücher, die ich mich zu entziffern bemühe, seit ich angefangen habe, ernsthaft zu sammeln. Also bin ich natürlich sehr neugierig, zu erfahren, Rabbi Stern, was … genau … Sie hier suchen?«
    Jacob fühlte, wie eine Welle von Energie um seinen Kopf und seine Brust herumglitt, glatt wie ein wirbelloses Insekt, und nach einer schwachen Stelle suchte. Er nahm alle seine Kräfte zusammen und errichtete eine Barriere aus Gedanken, um das nagende Raunen abzuhalten. Sein Leben fühlte sich zerbrechlich und schutzlos an wie die Stäubchen, die in der lichtgefleckten Luft schwebten.
    »Ich glaube, ich habe Sie zuerst gefragt«, sagte er. »Einverstanden«, sagte Reverend Day »Wir haben Zeit; Sie müssen nirgends hin.« Er lachte – ein erster Anflug von Grausamkeit.
    »Ich höre zu«, sagte Jacob.
    Reverend Day beugte sich vor und sprach in theatralischem Flüsterton wie ein Erwachsener, der einem Kind vor dem Schlafengehen eine Geschichte erzählt. »Ein Mann wacht eines Tages auf und entdeckt in sich ein brennendes Licht. Einen gewaltigen Born der Kraft. Nennen Sie es einen Funken des Göttlichen – nennen Sie es, wie Sie wollen: Die Gnade hat ihn angerührt.«
    »Das soll schon vorgekommen sein«, sagte Jacob. »Mit der Zeit lernt er, die Kraft zu benutzen – nein, das stimmt nicht: Er lernt, wie er die Kraft befähigen kann, ihr heiliges Werk durch ihn zu tun; so ist es bescheidener formuliert. Von diesem Augenblick an führt das Licht ihn in all seinem Denken und Tun, und es leitet ihn an, eine Gemeinde um sich zu scharen und sein Volk aus der verderbten Welt der Menschen fortzubringen. In die Wüste. Ein neues Jerusalem zu bauen. Die Kraft schenkt ihm eine Vision, die ihm zeigt, wie und wohin sie sich zurückziehen sollen, einen Traum von einem schwarzen Turm, seiner Kirche, die sich aus dem Sand erhebt.«
    »Sie hatten einen solchen Traum?« fragte Jacob und schaute überrascht auf; dann zwang er sich, seinen Blick auf den Staub zu konzentrieren.
    »Seit neun Jahren«, sagte der Reverend. »Seit jenem Tag, da ich aufwachte und in einem dreckigen Graben am Rande eines Flusses lag. In der Schweiz, ausgerechnet. Keine Erinnerung an den, der ich war, oder an irgendein Detail von dem, was mein Leben vielleicht einmal gewesen war. Alles, was ich besaß, war dieser Traum. Diese Vision. Und ich zahlte einen schrecklichen Preis für meine Erleuchtung. Mein Körper war verkrüppelt, viel, viel schlimmer als das arme Etwas, das Sie heute vor sich sehen: ein Jahr, bis ich geheilt war, zwei, bevor ich wieder gehen konnte. War es das wert? Ohne zu zögern muß ich Ihnen sagen: Jawohl.
    Geh nach Amerika, befahl meine Vision, und pflanze deine Saat in den Sand. Wer war ich, daß ich einer Stimme von solcher Autorität widersprochen hätte? Nichts – ein Stäubchen nur. Und so legte ich, ohne daß ich das Privileg der Weihe genossen hätte, das geistliche Gewand an«, erzählte Day und packte die Revers seines Gehrocks. »Genau gesagt, ich nahm es einem Baptistenprediger ab, den ich in Charleston, South Carolina, umgebracht hatte. Es paßte tadellos, keine einzige Änderung vonnöten – und dabei ist es nicht leicht, mich einzukleiden, berücksichtigt man meine diversen … Unregelmäßigkeiten. Aber Kleider machen letzten Endes Leute. Was meinen Sie, Rabbi? Bin ich nicht das Inbild des modernen Evangeliumspredigers?« Er summte ein paar Takte aus einer Operette von Gilbert und Sullivan und lachte dann.
    »Und so hat Ihre Vision Sie hierher geführt«, sagte Jacob. Er bemühte sich angestrengt, sich zu konzentrieren und den Mann in Fahrt zu halten.
    »Mit Hilfe der Millionäre, die ich zwischen Charleston und New Orleans auf meine Seite ziehen konnte – New Orleans erwies sich übrigens als besonders fruchtbares Gelände; man verbinde ausschweifendes Leben mit neuem Reichtum, und sie werden praktisch um Absolution betteln. Mit ihren großzügigen Beiträgen dauerte es nicht lange, bis The New City Leben in diese unfruchtbare Ebene brachte. Sie können sich gut vorstellen, wieviel Aufmerksamkeit man auf Details

Weitere Kostenlose Bücher