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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Innes umfaßte seinen Arm mit starker Hand und hielt ihn zurück, während Doyle fortfuhr.
    »Wenn eine Bande von Berufsmördern sich an Bord der Elbe geschlichen hat – und ich versichere Ihnen, Captain, daß wir es eben damit zu tun haben –, dann ist es ihnen nicht gelungen, indem sie vor aller Augen die Gangway hinaufschlenderten, sondern auf einem weniger konventionellen Wege –«
    »Ich muß Ihnen befehlen, auf der Stelle damit aufzuhören –«
    »Sie werden sich erinnern, daß einer ihrer Passagiere irgendwo im Laderaum die Schreie eines ›Geistes‹ gehört haben will, als wir gerade einen Tag auf See waren –« Doyle wuchtete das Stemmeisen hoch. Unter dem durchdringenden Protestgekreisch der Nägel löste sich der Sargdeckel von den Seitenwänden und hob sich einen Zollbreit. Das Kreischen hallte gespenstisch durch die stählernen Korridore, die sich ringsum verzweigten. Doyle packte die freigelegte Kante des Sargdeckels mit festem Griff und zog ihn vollends auf.
    »Dies ist eine Schändung –« Kapitän Hoffner riß sich von Innes los und stürzte herbei, nur um zu entdecken, daß das dick gepolsterte, mit rosafarbenem Satin gefütterte Innere des Sarges leer war. Mit offenem Mund starrte er Doyle an.
    »Auf die Schreie des ›Geistes‹ folgte kurz darauf ein lautes, rhythmisches Klopfen.«
    Doyle ließ den Deckel zufallen und hämmerte die Nägel wieder hinein.
    »Schauen Sie genau hin, und Sie werden die Kerben erkennen können, die sie beim neuerlichen Einschlagen der Nägel hinterlassen haben.« Doyle winkte Hoffner noch dichter an die Kiste heran. »Ihre Laderaumbesatzung hat mir zudem versichert, daß jeder Sarg das volle, bewegliche Gewicht eines Körpers enthalten habe, als sie an Bord getragen wurden. Wenn Sie sie jetzt auch hier unten aufmerksam untersuchen wollen, Captain, dann werden Sie sehen, daß winzige Löcher in die Ecken gebohrt wurden, um die Luftzirkulation zu gewährleisten.«
    Hoffner strich mit dem Finger über die Bohrlöcher. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Mit einer Entschuldigung bei Mr. Stern wäre vielleicht eine kluger Anfang gemacht. Und wenn das nächste Mal einer Ihrer Passagiere zu Ihnen kommt, weil er für seine persönliche Sicherheit fürchtet, dann wäre zu hoffen, daß Sie ungeachtet seiner religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit mit einem Entgegenkommen reagieren, das Ihrer Position besser geziemt.«
    Hoffner wurde puterrot. Er riß Doyle den Hammer und das Brecheisen aus der Hand. Drei Minuten später waren vier weitere leere Särge geöffnet, und Hoffner, atemlos und zerknirscht, legte das Werkzeug aus der Hand.
    »Mr. Stern«, sagte er hochaufgerichteten Hauptes, »bitte nehmen Sie meine tiefempfundene, aufrichtige Entschuldigung entgegen.«
    Stern nickte und wich dem Blick des Kapitäns aus.
    »Sie haben fünf blinde Passagiere an Bord, Captain. Auf einem Schiff dieser Größe gibt es Dutzende von Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ich brauche Ihnen nicht vorzuschlagen, daß Sie alle entsprechenden Maßnahmen ergreifen sollten.«
    »Nein. Ja, natürlich. Wir werden unverzüglich das ganze Schiff durchsuchen.« Hoffner wischte sich über die Stirn, und seine Gedanken überschlugen sich. Er betrachtete sich zuoberst als einen Mann der Vernunft und erst in zweiter Linie als einen Mann der Tat.
    »Ein gemeinsamer Versuch, den irischen Priester Father Devine zu finden, wäre ebenfalls angebracht«, sagte Doyle.
    »Wieso das?«
    »Weil dieser Mann kein Priester ist. Er ist ihr Anführer.«
    In diesem Augenblick gingen die Lichter aus.
     
     
    SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN
    Wer diesen Ort ›Teufelsküche‹ nennt, wird ihm nicht gerecht, dachte Kanazuchi und beobachtete, wie eine Ratte eine Kakerlake jagte. Er lag auf einer verlausten Decke, die über eine hölzerne Pritsche gebreitet war, ein Lager, das er für die fürstliche Summe von zwei Pennies pro Nacht sein eigen nennen durfte. Die Pritschen von zwanzig weiteren Wanderarbeitern füllten eine Kammer von fünfzehn Fuß im Quadrat, eine von vier gleichermaßen verstopften Absteigen im dritten Stock eines vierstöckigen Mietshauses im Zentrum von Tangrenbu, jener zwölf mal zwölf Häuserblocks in dem Innenstadtbezirk von San Francisco, den die Weißen »Chinatown« nannten.
    Im Keller befand sich eine Opiumhöhle, und unter den armen, ungebildeten Bauern hier – unter ihnen viele Landarbeiter, die jeden Herbst, wenn die Ernte im großen Tal eingebracht war, in die Stadt fluteten –

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