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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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schön …«
    Laute um ihn herum. Klare Glocken. Vogelgesang. Flüsternde Summen.
    »Schau ihnen jetzt zu, Cornelius.«
    Er nickte. So glücklich. Die Stimme des Reverends verschmolz süß mit diesem Glockenklang. Andere Stimmen wurden klarer: ein Kirchenchor.
    Die Nadeln formten einen Vorhang, der schimmernd vor seinen Augen tanzte, an seiner Oberfläche erschienen immer wieder neue Bilder: silberne Felder mit hohem Gras, das im Wind schwankte. Sonnenblitze auf einer Schneedecke. Helles, klares Wasser, das durch eine Wiese mit gelben Blumen sprudelte …
    Leben, soviel Leben. Fische in einem Bach, wilde Pferde, die einen grün bewachsenen Canyon hinuntergaloppierten. Ein Puma, der friedlich durch Herden von grasenden Antilopen und Hirschen streifte. Falken kreisten am wolkenlosen Saphirhimmel. Und dort, tief unten, dicht über dem Horizont, was war das? Welch absolute Vollkommenheit von Linie, Farbe und Form blendete da sein Auge?
    Eine Stadt erblühte aus der Wüste wie eine Treibhaus-Orchidee. Eine Oase umgab ihre Türme, die tausend Fuß hoch dem Himmel entgegen ragten. Türme aus Glas oder Kristall, rot, blau und bernsteinfarben, funkelten im strahlenden Sonnenschein wie ein Baldachin aus Juwelen.
    Tränen strömten Cornelins über die Wangen. Seine Lippen sprudelten von unaussprechlicher Freude. Er fühlte, wie sich tief in seiner Brust etwas löste, und sein Herz ging auf wie nächtlicher Jasmin.
    Durch die transparenten Mauern der Stadt sah er ein noch größeres Strahlen, das ihr Inneres beleuchtete. Ein gewisperter Gedanke, und er glitt auf das Licht zu, schwebte durch die Mauern, als wären sie ein stoffloser Dunst. Dort unten waren Leute, eine große Zahl, friedlich versammelt auf einem von Bäumen gesäumten Rasen um eine erhöhte Plattform, von der das Licht ausging. Er schwebte jetzt über der Menge, und noch nie hatte er so friedliche, gastliche Gesichter gesehen; sie streckten ihm die Hände entgegen und leiteten ihn behutsam hinab in die warme Umhüllung ihrer Umarmung.
    Liebe. Sie liebten ihn. Er spürte, wie es seine Sinne überflutete und jeden Winkel seines Herzens erfüllte. Die Liebe strömte von dieser Menge in ihn hinein; oh, welch machtvolle Gefühle empfand er dafür …
    Er liebte sie alle so sehr.
    Die Menge ringsumher wandte sich wie auf ein Kommando einer Lichtgestalt zu, die erhöht auf einem Sockel in der Mitte stand. Er hielt den Atem an: Das Licht kam aus dem Innern einer unirdischen Schönheit. Verschwommen die Gestalt, unklar die Züge – golden, glänzend –, und aus dem Innern strahlte ein Lichtkranz von perfekter Liebe und Großzügigkeit und Frieden.
    Eine Titanengestalt. Schwingen breiteten sich aus, weiter, als das Auge reichte. Unmöglich, ihre Spannweite zu messen.
    Ein Engel.
    Augen fanden ihn: große, runde Himmelsscheiben. Sein Engel. Hier für ihn, und nur für ihn. Augen hielten ihn in der Umarmung ihres Blicks. Liebten ihn. Ein Lächeln, ein Segen. Der Engel sprach ohne Worte; er hatte die Worte im Herzen.
    »Bist du glücklich hier, Cornelius?«
    »O ja.«
    »Wir haben auf dich gewartet.«
    »Auf mich gewartet?«
    »Endlos lange gewartet. Wir brauchen dich, Cornelius.«
    »Wirklich?«
    »Der Augenblick ist nahe. Es gibt so viel für dich zu tun.«
    »Ich will euch helfen.«
    »Du bist sehr schlecht behandelt worden von diesen Leuten, von diesen Leuten dort draußen.«
    Tränen liefen ihm über das Gesicht. »Ja.«
    »Sie verstehen dich nicht, oder? Nicht so wie wir.«
    »Nein.«
    Die Unermeßlichkeit des Engels füllte sein Gesichtsfeld aus, und seine Stimme hallte tief durch jede Faser seines Körpers.
    »Möchtest du hierbleiben, bei uns, Cornelius?«
    »Das möchte ich, ja. Das möchte ich so sehr.«
    Der Engel lächelte. Wind zerzauste Cornelius’ Haar, und es klang wie tausend gedämpfte Trommeln. Hände falteten sich in stillem Gebet; der Engel schlug wieder mit den Flügeln und stieg von der Plattform auf zum Firmament. Alle Augen wandten sich himmelwärts und schauten ihm nach. Musik schwoll zu einem großartigen Crescendo und ertränkte das selige Gemurmel der Menge. Cornelius lächelte, denn jetzt teilte er ihr geheimes Wissen. Er war zu Hause.
     
4
     
    Leblos die See um sie herum. Schwarzes, öliges Wasser in der Flaute: ein falscher Friede und die sichere Verheißung von Gewalt. Unbestimmte, böse Formen zuckten unter der Oberfläche dahin. Regenfronten verhängten den Horizont im Norden mit schwarzen Vorhängen. Tristes Licht von Westen, gelb und

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