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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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einem schnellen, genau bemessenen Hieb hatte er den Deckel der Kiste in Stücke geschlagen. Stern schnappte nach Luft. Doyle streckte die Hand aus, langte zwischen den Splittern hindurch und forderte den Inhalt der Kiste zutage: ein großes, rechteckiges Bündel weißer Blätter.
    »Genau abgewogen, damit es Ihrem Buch Sohar entspricht«, sagte Doyle zu Stern und balancierte den Papierstapel auf der flachen Hand.
    »Das wußte ich nicht, ich schwöre es«, protestierte Stern. »Ich meine, ich habe ihnen doch zugesehen, ich war in London dabei, als das Buch in die Kiste gepackt wurde.«
    »Wie es scheint, hatte Ihr verstorbener Partner Mr. Selig andere Pläne, was vielleicht seine Abneigung gegen das Verlassen Ihrer Kabine erklärt.«
    »Was hat das alles zu bedeuten, bitte sehr?« fragte Hoffner.
    »Ich muß Sie einen Augenblick um Geduld bitten, Captain; ich werde sofort darauf zurückkommen«, sagte Doyle; er warf das Papier hin und legte sich die Axt über die Schulter. »Wenn Sie jetzt so gut sein wollen, uns zu unserer nächsten Station zu begleiten … Innes?«
    Innes winkte, und der kleine Maschinist – insgeheim entzückt über ein Schauspiel, bei dem sein steifer, disziplinbesessener Kapitän vor diesem verrückten Engländer dienerte – führte sie durch ein Labyrinth von Gängen und Luken in einen benachbarten Laderaum. Der eisige, unwirtliche Ort wurde beherrscht von einer Reihe viereckiger Stahlkammern mit hakenförmigen Türklinken. Nackte Glühbirnen hingen von der Decke; ihr fahles Licht versagte vor den Dünsten der Verwesung, die hier die Luft durchdrangen.
    »Ist es gestattet zu fragen, was wir in der Leichenkammer zu suchen haben?« fragte Hoffner.
    Innes hielt ihm die Laterne, während Doyle eine der Kühlkammern aufbrach und die verdeckte Metallwanne herausrollte. Man erkannte die starren, tuchverhüllten Umrisse eines Leichnams. Er schlug das Laken vom Gesicht, zog leidenschaftslos die unteren Augenlider des verstorbenen Rupert Selig herunter und entblößte blutverstopfte Spinnweben aus blauen und violetten Kapillargefäßen.
    »Im Gegensatz zu der Ansicht Ihres Schiffsarztes, er sei für einen Mann seines Alters bei bester Gesundheit gewesen, litt Mr. Selig an einer Herzerkrankung und an schwerem Bluthochdruck, was, wie Sie erkennen werden, an diesen zahlreich geplatzten Blutgefäßen im weichen Gewebe unter den Augen zu erkennen ist – ein Zustand, den er sogar Ihnen verheimlicht hat, Mr. Stern. Sie wußten doch nichts davon, oder, Sir?«
    Stern schüttelte den Kopf.
    Doyle zeigte den Anwesenden ein kleines gläsernes Arzneifläschchen mit runden weißen Tabletten. »Mr. Selig trug dieses homöopathische Mittel – eine Mischung aus Kalium, Kalzium und Jodtinktur von großer Popularität, aber geringem erwiesenen Nutzen – in einer verborgenen, ins Futter seiner Jacke genähten Tasche bei sich.«
    »Das ist alles gut und schön, Mr. Doyle, und es bestätigt die Schlußfolgerung meines Arztes, daß eine Herzattacke den Tod dieses Herrn herbeigeführt habe. Aber was hat das mit –«
    Doyle hob die Hand und schnitt Hoffner noch einmal das Wort ab. »Eins nach dem andern, Captain. Hier waltet ein Plan, den ich, wenn Sie mir vertrauensvoll Gehör schenken, in der gebührenden Abfolge ans Licht bringen werde.« Doyle warf das Laken wieder über Seligs graues Gesicht und gab der Wanne einen Stoß, der sie mit metallischem Scheppern, das durch den düsteren Raum hallte, an ihren Platz zurückbeförderte.
    »Innes, würdest du bitte …«, sagte Doyle. Innes nahm dem Maschinisten die Lampe ab und leuchtete in die hintere Ecke des Raumes. Dort stand eine geordnete Reihe von Särgen auf dem Boden.
    »Sie haben diese fünf Särge in Southampton als Ladung an Bord genommen. Trifft das zu, Captain?« »Ja. Und?«
    »Alle von demselben Spediteur, nehme ich an?« »So wäre es üblich.«
    »Ich werde in Kürze die Ladepapiere in Augenschein nehmen wollen«, sagte Doyle und ließ sich von dem Maschinisten Hammer und Brecheisen aushändigen. »Es gab nur eine unüberwindliche Schwierigkeit in der Abfassung meiner Theorie. Wie wir bei der Einschiffung gesehen haben, waren die Sicherheitsmaßnahmen absolut luftdicht – was man über diesen Sarg hier nicht sagen kann.« Doyle trieb das Stemmeisen mit dem Hammer in einen Spalt unter dem Mahagonideckel des ersten Sarges.
    »Mein Gott, Sir, bedenken Sie doch, was Sie da tun –« Hoffner machte Anstalten, Doyle an der Fortsetzung der Exhumierung zu hindern.

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