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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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dem amerikanischen Nachrichtenjäger Pinkus einen wirkungsvollen Maulkorb haben umbinden können, der auch zu dieser Stunde noch einer Art Stubenarrest unterliegt. Mein Freund stattet ihm in diesem Augenblick einen privaten Besuch ab, um sicherzustellen, daß er sein Schweigen auch nach der Ankunft in New York aufrechterhält – eine entmutigende Aufgabe angesichts von Pinkus’ Neigung zur Geschwätzigkeit, aber wenn es jemanden gibt, der Pinkus überreden kann, wie man so sagt, die Klappe zu halten, dann setze ich mein Geld auf].
    S.
     
    Betrübt muß ich vermelden, daß mein Freund sich schrecklich verändert hat, seit ich ihn das letztemal gesehen habe. Um die Wahrheit zu sagen: Auch ohne seine wirkungsvolle Verkleidung ist er kaum wiederzuerkennen. Was er auch immer für Beschädigungen davongetragen, welche finsteren Winkel des menschlichen Geistes er auch besucht haben mag, ich fürchte, daß die Wirkung ganz und gar nicht zum Guten gewesen ist.
    In diesem einen Fall hoffe ich inständig, daß meine Begabung zur scharfen Beobachtung, eine Gewohnheit des Geistes, bei deren Erlangung er mir in so hohem Maße behilflich war, ganz und gar in die Irre geht.
    Eine dichte, vieltürmige Skyline, die aus dem Morgennebel ragte, war das erste, was die Brüder Doyle von New York erblickten. Von ihrer Warte sah es aus, als wolle die Stadt auf der schmalen Insel, auf der sie stand, schier aus den Nähten platzen. Die Passagiere der Elbe drängten sich mit den beiden auf dem Oberdeck und bestaunten die Wunder dieses muskulösen Kontinents.
    Welch großartige Energie, dachte Doyle. Welch enorme Konzentration von Ehrgeiz. Und welch ein stolzes Zeugnis für das Potential der schöpferischen Vitalität des Menschen.
    Ohne etwas von der Tiefe der Empfindungen zu ahnen, denen sein Bruder nachhing, und ängstlich darauf bedacht, nicht als Dorftrottel zu erscheinen, gab Innes sich völlig gleichgültig gegenüber den epischen Dimensionen der Freiheitsstatue, die sie nun passierten, obgleich sein Herz insgeheim raste von hormoneller Erregung angesichts der irrationalen Vorstellung, zu der sie ihn inspirierte: eine ganze Nation, bevölkert von turmhohen üppigen Frauen, bekleidet nur mit durchscheinenden, lose drapierten Gewändern. Als Pinkus schließlich, begleitet von Father Devine, an Deck erschien, fand Innes, er sehe bemerkenswert gedämpft, ja erschüttert aus, und an die Stelle seiner springlebendigen, terrierhaften Wachsamkeit war bleiche, vergebungheischende Wehmut getreten.
    »Was ist los mit dem alten Pinkus?« fragte er. »Ich weiß es nicht«, sagte Doyle. »Vielleicht hat er festgestellt, daß die Beichte schlecht für die Seele ist.«
    Eine majestätische Kehre in den Hudson führte die Elbe einem Schwarm von Schleppern entgegen, die herankamen, um sie behutsam zu ihrem Liegeplatz in den West Side Docks zu bugsieren. Kapitän Hoffner lud Doyle ein, zu den Landungsmanövern mit ihm auf die Brücke zu kommen. Dort nahm er ihn beiseite, um sich förmlich bei ihm zu bedanken und ihn wissen zu lassen, daß die Durchsuchung des Schiffs keinen vierten Meuchelmörder ans Licht befördert habe. Die fünf Särge waren beschlagnahmt worden, und mit der Zollbehörde hatte man zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen vereinbart, um dafür zu sorgen, daß dieser letzte Mann, sollte er noch an Bord sein, sich nicht als Offizier oder Passagier verkleidet von Bord schleichen könnte. Ein weiteres Mal wehrte Doyle die Erkundigungen des Kapitäns nach Father Devine höflich ab und erklärte nur, daß seine in der Hitze des Augenblicks zustande gekommene negative Einschätzung des Mannes sich im nachhinein als unbegründet erwiesen habe. Damit schüttelten sie sich in gegenseitiger Achtung die Hand und sagten einander Lebewohl.
    Als Doyle und Innes aus dem Zoll kamen und das Tor nach Amerika durchschritten, schmetterte eine in der Vorhalle postierte Marschkapelle los und intonierte ›For He’s A Jolly Good Fellow‹. In der mit roten, weißen und blauen Girlanden festlich geschmückten Halle prangte ein Wald von handgemalten Schildern, auf denen der berühmte Schriftsteller willkommen geheißen wurde – viele davon schienen unter dem Eindruck gestaltet worden zu sein,
    Doyle selbst sei Sherlock Holmes – und die über den Köpfen einer beunruhigend großen und demonstrationsbereiten Menge tanzten.
    Guter Gott, sie skandieren meinen Namen, als wäre ich eine Football-Mannschafl. Die Seuche übermäßiger Vertraulichkeit bei einzelnen

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