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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Amerikanern hatte Doyle nie zuvor gestört, aber bezogen auf diese Massen erschien sie ihm nun doch wie das Vorspiel zu einem Menschenopfer.
    Vor den Sägeböcken der Polizei, die den Mob zurückhielten, funkelte ein Haufen größerer und kleinerer Sterne von Manhattans Ruhmeshimmel – Lichtgestalten aus der Welt des Verlags- und Zeitungswesens, rasante Matinee-Idole, rundliche Konfektionäre, pomadige Restaurateure und eine ganze Schwadron von obskuren städtischen Beamten, durchwirkt von einem hübschen Schwarm dekorativer Showgirls; anscheinend hatte Pinkus bei diesem einen, entscheidenden Aspekt seiner Geschichte nicht übertrieben, erkannte Innes ekstatisch aufgeregt.
    Ein riesenhafter, langgliedriger Mann in Stiefeln, Reithosen, einem kanariengelben Schwalbenschwanz und einer Bibermütze auf einem zottligen Kopf, halb so groß wie ein Büffelschädel, löste sich aus dem Gedränge und umschlang Doyle in einer atemberaubenden Bärenumarmung, ehe dieser sich zur Wehr setzen konnte.
    »Der Himmel sei mir gnädig! Der Himmel sei mir gnädig!« brüllte der Mann mit dem dunklen, cremigen Akzent von Virginia.
    Ich muß diesen Mann kennen, dachte Doyle in heller Panik. Wenn man bedenkt, wie er mich hier begrüßt, müssen wir mindestens Vettern ersten Grades sein.
    Der Riese trat zurück und brüllte Doyle ins Gesicht: »Stolz, Sir! Es macht mein Herz stolz, Sie hier zu sehen!«
    Verzweifelt suchte Doyle nach irgendeinem Hinweis auf seine Identität – an jemanden von dieser Größe mußte er sich doch erinnern! Über die Schulter des Riesen konnte er erkennen, wie Innes, der zu dem Schluß gekommen war, die blaue Uniform der Royal Fusiliers sei die einzige angemessene Aufmachung für ihre Ankunft, von einer Wolke aus Parfum, weiblichen Rüschen und gargantuesken Blumenhüten aufgesogen wurde.
    »Habe ich Ihnen nicht ein feines Hallo in New York versprochen? Und haben wir es nicht erstklassig für Sie hingekriegt?« Das Grinsen des Riesen entblößte eine Klaviatur von unnatürlich glänzenden weißen Zähnen »Ich fürchte, Sie sind mir im Augenblick voraus, Sir«, sagte Doyle und beäugte voller Unbehagen das Bataillon von Prominenten, das zielstrebig auf sie zukam.
    »Na, Pepperman, Mr. Conan Doyle«, sagte der Mann und lüftete galant seinen Hut. »Major Rolando Pepperman. Impresario Ihrer literarischen Tournee – zu Ihren Diensten.«
    »Major Pepperman, selbstverständlich, ich bitte um Nachsicht –«
    »Aber nicht doch, ganz und gar nicht – ich bin es ja, der Sie um Verzeihung bitten muß, weil ich Ihnen in meinen Kabeln keine detailliertere Beschreibung meiner Person habe zukommen lassen.«
    Seine erstaunlich blauen Augen funkelten, und die Muskeln, die sich unter seiner Jacke wölbten, knisterten von überschüssiger Energie – alles an dem Mann schien nach Plänen in einem unglaublich übertriebenen Maßstab gebaut zu sein: die Essenz des amerikanischen Überschwangs, destilliert zu einem einzigen, gigantischen Prototyp.
    Pepperman warf Doyle einen Arm um die Schulter und drehte ihn zu den Zuschauern um: »Ich präsentiere Ihnen Mr. Arthur Conan Doyle, den Schöpfer des großen Sherlock Holmes! Willkommen in New York!«
    Pepperman warf seinen Hut in die Luft; die Menge geriet auf eine noch höhere Stufe der Raserei, die sie offenbar zurückgehalten hatte, und das Duell zwischen ihr und der Blaskapelle um die Beherrschung der äußeren Grenzen des Hörbaren geriet zu einem Unentschieden. Eine Salve fotografischen Blitzlichtpulvers explodierte vor Doyles weit aufgerissenen Augen, und schwarze Flecken tanzten anstelle der Gesichter der New Yorker Elite, die sich herandrängte.
    Doyle schüttelte fünfzig Hände und nahm ebenso viele Visitenkarten entgegen; die gebrüllten Mitteilungen ihrer Besitzer gingen in der allgemeinen Kakophonie unter, aber Doyle gewann den Eindruck, daß jeder einzelne von ihnen wollte, daß er entweder in seinem Restaurant speise, in seiner Zeitschrift erscheine, an seinem jüngsten Theatertriumph teilhabe oder in seinem Luxushotel residiere. Die beunruhigende Formulierung ›im Austausch gegen eine werbende Empfehlung‹ folgte solchen schmeichelhaften Angeboten nicht selten auf dem Fuße.
    Unklar blieb Doyle in diesem Zusammenhang nur, was diese spektakulären Showgirls von ihm wollten, wenngleich Innes, der die Achse eines nebenan kreisenden Spiralnebels bildete, ihr kicherndes Ausweichen vor seinen Ouvertüren als solide Basis deutete, auf der er seinem Repertoire an eifrigen

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