Im Zeichen der Sechs
finanzieller wie künstlerischer und jeder anderen vorstellbaren Hinsicht.«
»Na, es freut mich aber sehr, das von Ihnen zu hören, Sir.« Pepperman erhob sich, schüttelte ihm die Hand und ließ von neuem seine blendendweißen Zähne aufblitzen. »Freut mich über die Maßen. Aber jetzt sollte ich Sie alleinlassen, damit Sie sich einrichten können –«
»O nein, es ist ganz in Ordnung –«
»Nein, ich bin sicher, Sie können jetzt ein, zwei Stündchen Ruhe und Frieden gebrauchen. Wir werden ein ziemliches Tempo anschlagen, während Sie hier sind, und es kann sein, daß Sie hier für lange Zeit zum letzten Mal Gelegenheit haben, ein bißchen Ruhe zu genießen.« »Vielleicht haben Sie recht –« »Wenn es also genehm ist, Sir, dann hole ich Sie um acht
mit der Kutsche ab, und wir fahren geradewegs zum Empfang Ihres Verlags.«
Damit verabschiedete sich der gutmütige Riese, und Doyle begab sich auf eine Forschungsreise durch die dreiräumige Präsidentensuite. Er versuchte, sich den schwindelerregenden Preis für diese Herberge auszurechnen: Fußböden und Kamine aus italienischem Marmor, Perserteppiche von der Größe eines Cricketfeldes, mächtige ägyptische Urnen und Gemälde von holländischen Landschaften auf Leinwänden so groß, daß man damit bei Westwind den halben Weg nach England zurücksegeln könnte. Den Druck, mit dem das Wasser aus dem Brausekopf im Badezimmer kam, fand er erstaunlich, wenn nicht gar körperlich gefährlich. Soeben hatte er sich davon überzeugt, daß das Bett die Herausforderungen durch Präsident Clevelands Körpermassen unbeschadet überstanden hatte, als ein Klopfen ihn zur Vordertür rief, deren Wiederfindung angesichts der endlosen Ausdehnung der Zimmerflucht eine bange Minute erforderte.
Niemand da. Er kehrte zurück in seinen Salon.
»Sorry«, sagte jemand, und Doyle sprang zwei Handbreit in die Luft.
Jack Sparks stand neben dem Klavier am Fenster. Father Devines priesterliches Gewand hatte er abgelegt, und mit ihm auch das schüttere rote Haar, den Schnurrbart und den Bauch. Doyle hatte das geniale Verkleidungstalent des Mannes fast vergessen, und mit einem Ruck entsann er sich, daß er diese chamäleonhafte Begabung auch seinem Detektiv verliehen hatte; hier stand er dem, der ihn zu Sherlock inspiriert hatte, von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Er sieht noch ungefähr genauso aus; ein Jahrzehnt älter natürlich – das sind wir alle, dachte Doyle, aber unser Geist läßt Platz für die Erosion durch die Zeit und hält Schritt mit den subtilen Veränderungen, die wir in dem Gesicht, das wir im Spiegel betrachten, nie bemerken. Seine Kleidung war noch immer schwarz – die neutrale, asketische Hose und das Hemd –, dazu ein lederner Gehrock und die gleichen weichen Lederstiefel. Sein Haar war kürzer, dichter am Schädel geschoren und ergraute schon. Die Narben, die Doyle zuvor bei Father Devine gesehen hatte, waren kein Schminkwerk gewesen: ein hervorstechender weißer Streifen links am Unterkiefer und eine Kerbe in der Stirn, dicht unterhalb des Haaransatzes. Als sei er zerbrochen und wieder zusammengesetzt worden, dachte Doyle. Das charismatische Ebenmaß war ein bißchen getrübt; aus dem Innern kam etwas Härteres, eher Abweisendes zum Vorschein.
Seine Augen hatten sich am meisten verändert, und doch waren sie das erste, was Doyle wiedererkannt hatte; er erinnerte sich, in ihren unruhigsten gemeinsamen Augenblicken den gleichen gejagten, im Geiste verstörten Ausdruck in ihnen gesehen zu haben: Jetzt schien er beständig zugegen zu sein, tiefer verwurzelt, auf dem Rückzug vor dem Leben. Unmöglich, solche Augen nicht zu bemerken, nicht von ihnen beunruhigt zu sein.
Welch grausame Ironie, dachte Doyle; hier bin ich als Ehrengast in dieser Palastsuite, über jedes vernünftige Maß hinaus gefeiert für die Großtaten einer fiktiven Gestalt, und vor mir steht der, der vor allen anderen die Inspiration dazu gegeben hat: ein trauriger, geschrumpfter Schatten des Mannes, den ich einmal kannte. Im Laufe der Jahre hatte Doyle sich hundertmal gefragt, was es für ein Gefühl sein würde, seinen Freund wiederzusehen. Die einzige Empfindung, mit der er nie gerechnet hatte, verspürte er jetzt: Angst.
Völlig natürlich. Ich dachte ja, er sei längst tot; es ist also ein bißchen wie die Begegnung mit einem Geist, nicht wahr?
Jack kam nicht auf ihn zu, streckte ihm nicht die Hand zur Begrüßung entgegen. Nichts Warmes, Einladendes lag in seinem Blick oder
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