Im Zeichen der Sechs
seiner Haltung, nur das stumpfe Lodern von Rechtschaffenheit und Reue.
»Der Grund, weshalb Sie auf dem Schiff nicht angesprochen wurden«, sagte er, und seine Stimme klang flach und kraftlos.
»Sie wußten vom ersten Tag der Reise an, daß ich da war; warum haben Sie nicht –«
»Wollte Sie in nichts verwickeln.«
»Es hätte mir nichts ausgemacht –«
»Ging Sie nichts an. Wußte nicht, daß Sie mitfahren würden. War verblüfft. Von Stern und seinem Buch habe ich übrigens auch nichts gewußt. Ließ sich nicht ändern.«
»Ihr Wort genügt mir.« Warum war er so kalt?
»Hatte den Verdacht, daß die anderen vier Männer an Bord sein würden. Hatte den Verdacht, daß sie in diese andere Sache verwickelt seien.«
»In den Diebstahl in Oxford, den Diebstahl der Vulgata-Bibel.«
Sparks hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt, ohne zu nicken oder mit den Achseln zu zucken. Absolute Sparsamkeit in Bewegung und Gestik, ohne jedes Zugeständnis an das Wohlbefinden des anderen.
»Habe bedauert, Sie dort zu sehen«, sagte Sparks.
»Dazu gibt es keinen Grund –«
»Habe Ihnen im Leben genug Ärger gemacht.«
»Unfug. Ich wäre froh gewesen, zu erfahren, daß Sie noch am Leben sind –«
Jack schüttelte einmal den Kopf, heftig und nachdrücklich.
»Das bin ich nicht.«
Doyles Herzschlag setzte einmal aus. Sparks wich seinem Blick aus.
»Nicht so, wie Sie es meinen, wenn Sie es sagen. Nicht so,
wie Sie annehmen.«
»Das konnte ich natürlich unmöglich wissen, nicht wahr?« sagte Doyle.
»Die Frau. Auf dem Schiff.«
»Das Medium? Sophie Hills?«
»Sie haben sie nach mir gefragt.«
»Sie hat gesagt, Sie sind nicht tot.«
»Sie hat sich geirrt. Ich bin gestorben. Ich bin in diesem Körper geblieben, und ich bin gestorben.«
»Aber Jack, Sie leben doch. Die Tatsache, daß Sie hier vor mir stehen, ist doch nicht zu leugnen.«
»Leben … bedeutet für mich … nicht das gleiche … wie für Sie. Es gibt keine Möglichkeit … dies so zu beschreiben … daß Sie es verstehen könnten. Keine Möglichkeit … über die Sie … glücklich gewesen waren.«
Jack sprach wie ein Automat; sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck – unerreichbar. Die letzten Worte spuckte er aus wie einen bitteren Kern. Insofern hatte er zumindest recht: Menschlich wirkte er nicht. Und Doyle kam sich ein bißchen wie ein Verräter vor, weil er jetzt die Fähigkeiten benutzte, die Jack ihm beigebracht hatte, um den Mann zu analysieren. Langes Schweigen folgte. Jack wandte sich ab und schaute aus dem Fenster. Doyle bekam eine Gänsehaut, und seine Handflächen wurden feucht. Aber er wartete darauf, daß Jack deutlicher wurde. Du wirst feststellen, daß ich auch nicht mehr wie früher bin, alter Junge; ich bin nicht mehr so leicht einzuschüchtern.
»Wollte nicht, daß Sie … daß Sie mich so sehen«, sagte Jack schließlich.
War da ein Hauch von Scham in seiner Stimme? Zum ersten Mal sah Doyle jetzt seine Hände, die er auf dem Rücken verschränkt hielt; sie waren von flammendroten und weißen Narben überzogen, die Finger krumm und verstümmelt. Der Ringfinger und der kleine Finger der linken Hand fehlten ganz. Was war da passiert?
»Larry hat es mir erzählt«, sagte Doyle. »Hat mich in London aufgestöbert. Ist jetzt beinahe zehn Jahre her. Wie Sie beide der Spur Ihres Bruders nach Österreich gefolgt sind. Wie Sie Alexander am Wasserfall gefunden haben. Ihr Kampf. Und wie Sie abgestürzt sind.«
»Ja. Ich habe Ihre Geschichte gelesen«, sagte Jack trocken und starrte auf die Stadt hinunter.
»Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, daß ich über einen Mann geschrieben habe, den ich längst für tot hielt.« Doyle sträubten sich die Nackenhaare, aber dann milderte sich sein Tonfall wieder. »Ich war dort, Jahre später. Mit meiner Frau; ich bin inzwischen verheiratet. An den Reichenbach-Fällen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie irgend jemand dort überleben sollte, aber man sagte mir, es sei schon vorgekommen. Es sei möglich. Aber ich habe ja nie etwas von Ihnen gehört …«
Doyle ließ den Satz in der Schwebe. Keine Reaktion.
»Die Königin ließ mich rufen«, fuhr er schließlich fort. »Monate nach unserer Geschichte mit den Sieben. Eine Audienz bei Victoria persönlich. Da stand ich nun, mit meinen fünfundzwanzig Jahren, und schwatzte mit der Königin. Sie hat bestätigt, daß es stimmte, was Sie mir erzählt haben: daß Sie die ganze Zeit für sie gearbeitet hatten. Aber sie hat mit keiner
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