Im Zeichen der Sechs
Nachricht gehört hatte. Bei all ihrer miesen Klauerei und Großmäuligkeit waren die Earps doch aus dem gleichen Holz wie John Wesley und Frank gewesen. Ein Blick auf die Meute hier, und er wußte, daß diese Tage endgültig dahin waren.
Frank ging außen um das Camp herum, gefolgt von dieser Bande von Schwachköpfen. Er fand eine schwache Spur: Ein Mann war auf die Schwenkbrücke zugesprintet, die ostwärts über den Colorado führte. Während seine Truppe mit angehaltenem Atem hinter ihm wartete, drehte er sich eine Zigarette, stellte sich auf die Brücke und fragte sich: Wo würde ich hingehen, wenn ich ein solches Verbrechen begangen hätte?
Nach Mexiko. Keine fünf Meilen flußabwärts von hier.
Dann mußte er sich eine schwierigere Frage stellen. Wenn ein nur mit einem Schwert bewaffneter Mann sich seinen Weg durch eine ganze Bande von erfahrenen Bahnbullen schlagen konnte, als wären es ein paar grüne Schößlinge, wie sollte er mit diesem Haufen von schlappschwänzigen Amateuren ihn je zur Strecke bringen?
Zwei angenehme Gedanken kamen ihm gleichzeitig in den Sinn: Diese Lahmärsche hatten keine Ahnung, wie ihr Killer aussah; sie wußten nur, daß er ein Chinamann war, und er hatte noch keinen Weißen gesehen, der da den einen vom andern unterscheiden konnte. Was bedeutete, daß er den nächstbesten halbwegs plausiblen Verdächtigen aus hundert Yards Entfernung mit dem Büffelgewehr flachlegen konnte, und niemand würde etwas merken. Scheiß auf diesen Schwerterkram.
Er zündete sich seine Zigarette an.
Das andere war: Sollte sich dieser Plan als Griff in die Scheiße entpuppen, dann könnte er es, bevor dieser Haufen ihn erwischte, immer noch selber nach Mexiko schaffen.
PHOENIX, ARIZONA
Als Frank rauchend auf der Brücke stand, glitt Kanazuchi aus einem Waggon des Güterzuges, der früh am Morgen in Phoenix ankam. Vorsichtig bewegte er sich zwischen den Zügen an den Gleisen entlang; er war sich der Gefahren bewußt, die aus seiner Flucht resultierten. Der Kampf war bedauerlich gewesen, aber es kam nicht in Frage, sich festnehmen zu lassen. Wenn er sein Verhalten im Licht dieser Umstände betrachtete, sah er, daß er nicht anders hätte handeln können. Mit der Kraft seines Willens verdrängte er die Angelegenheit aus seinem Kopf; weitere Betrachtungen würden ihn nur unnötig ablenken. Seine Brüder hatten ihn für diese Mission wegen seiner wilden Hingabe an die meisterliche Beherrschung des budo auserkoren.
Er hörte Senseis Stimme: Denke nicht daran, zu gewinnen, zu verlieren, deinen Vorteil zu nutzen, deinen Gegner zu beeindrucken oder zu mißachten. Das ist nicht der Weg. Müde, halb verhungert und tausend Meilen weit weg von zu Hause – er erinnerte sich daran, daß solche Wahrnehmungen Illusionen waren, die aus der übermäßigen Identifikation mit den Sorgen des kleinen Ich resultierten. Auch das war nicht der Weg. Die Zukunft hing von ihm ab; wenn das verschwundene Buch nicht zurückgebracht wurde, würde ihr Kloster schwach werden und sterben wie ein Baum, dessen Wurzeln abgehackt worden waren. Der Weg würde scheitern. Und der Gedanke ans Scheitern würde nur zum Scheitern führen.
Mangelt es an Nahrung und Wasser, möge dieser Gedanke mich ernähren.
Die Luft des frühen Morgens verhieß kommende Hitze; das Gelände war flach und staubig und ihm ganz fremd. Als Kanazuchi bis auf hundert Schritte an den Bahnhof herangekommen war, hörte er Stimmen, die sich näherten; er rollte sich unter einen Waggon und hängte sich an das Fahrgestell, verharrte dort wie eine Spinne. Die Schritte von einem Dutzend Männer kamen keine drei Meter weit an seinem Versteck vorbei, laut und zielstrebig; sie rissen Türen auf und durchsuchten die Waggons des Güterzuges, mit dem er gekommen war. Er schob sich hinaus in ihre Köpfe und spürte Anspannung und Angst, gewendet zu beruhigender, selbstbeschützerischer Gewalttätigkeit.
Identifiziere dich mit allen Dingen und allen Menschen; töte das kleine Ich in dir, und du kannst dir alles erschließen, was die Schöpfung bereithält.
Die Kunde war ihm in den singenden Drähten vorausgegangen. Sie suchen mich, erkannte er: Einer der Männer hatte das Wort ›Chinamann‹ benutzt.
Als sie vorüber waren, ließ Kanazuchi sich zu Boden sinken, zog sein Messer und trennte sich mit einem Schnitt den Zopf ab. Er begrub das Haar unter einer Gleisschwelle. Es war an der Zeit, daß der ›Chinamann‹ verschwand.
Er kroch hervor und bewegte sich weiter
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