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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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anderes als ein Gentleman – außer wenn er getrunken hatte. Leider war dies in jener Nacht im Jahre ’89 der Fall gewesen, als er Molly Fanshaw, sein Lieblingsmädchen, in der Stadtmitte von Tombstone vom Balkon des Whiteley’s Emporium stieß. Frank war so sturzbetrunken gewesen, daß er sich nicht mal erinnern konnte, weshalb sie sich eigentlich gestritten hatten -Molly war eine gemeine Schnapsdrossel gewesen und hatte ihn zweifellos über jedes menschliche Maß des Erträglichen hinaus provoziert –, aber er hatte die einzige Frau, die er je geliebt hatte, vor den Augen einer ganzen Menschenmenge umgebracht, schlicht und einfach; also bekannte er sich schuldig, akzeptierte seine lebenslängliche Haftstrafe wie ein Mann und war die letzten fünf Jahre hindurch ein vorbildlicher Insasse des Territorialgefängnisses gewesen. Und Frank hatte keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt, seit Molly über das Geländer gegangen war.
    Die Mitgefangenen, der Gefängnisdirektor, sogar die Wärter, alle waren sie vernarrt in Frank: wegen seiner Höflichkeit, wegen der nicht allzu nachhaltigen Auswirkungen seiner Bildung, und wegen der Art, wie er erhobenen Hauptes umherging, obwohl es harte Zeiten für ihn waren, die er größtenteils im Krankentrakt als Oberassistent der anstaltseigenen Knochenklempner verbrachte. Während der Choleraepidemie des Jahres ’92 opferte Frank trotz der beträchtlichen Ansteckungsgefahr wochenlang seinen Schlaf, um am Bett der Kranken zu stehen und ihre Leiden zu lindern. Franks Hirschlederjacke in einer Glasvitrine war sicher der Höhepunkt der Fünfundzwanzig-Cents-Besichtigung, die das Gefängnis der zahlenden Öffentlichkeit anbot. Fast jeden Tag mußten die Wärter am Tor irgendein empfindsames junges Täubchen zurückweisen, das gekommen war, um einen Blick auf Frank zu erhaschen, wie er sich im Hof ertüchtigte; gebrochenen Herzens zogen sie wieder ab, weil das Gesetz ihnen nicht erlauben wollte, von Angesicht zu Angesicht mit Frank zu sprechen.
    Aber Frank unterließ es niemals, ihre Briefe zu beantworten, und zartfühlend deutete er an, jawohl, es sei wohl wahrscheinlich, daß es ihnen nicht bestimmt war, einander je zu begegnen, aber vielleicht würde ein an den Gouverneur gerichteter Brief von einer so ehrbaren Frau – oder von sonst einer bedeutenden Person der Gemeinde, die sie vielleicht kannte – jenen dazu bewegen, das lebenslängliche Urteil noch einmal zu überdenken und eine Begegnung zwischen ihnen auf diese Weise doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Auch jetzt lag dem Gouverneur eine Bittschrift vor, in der er um Gnade für Buckskin gebeten wurde. Frank hatte die Saat seiner Freiheit mit der Sorgfalt eines Gärtners ausgebracht, aber es erforderte das Blut eines Massakers, um den Acker nun zu düngen.
    Sheriff Tommy forderte jeden Gefallen ein, der ihm geschuldet wurde. Gefängnisdirektor Gates schickte ein Telegramm an den Gouverneur, und beim Frühstück hatten sie einen Handel ausgeheckt: Urlaub unter Vorbehalt. Er war immer noch als Gefangener zu betrachten und durfte niemals unbeaufsichtigt sein. Aber im stillen kam man überein, wenn es Frank gelänge, den Mann, der für die Morde auf dem Rangiergelände in Yuma verantwortlich war, zu fassen, dann würde ein Gnadenerweis nicht lange auf sich warten lassen.
    Um acht Uhr schlossen die Wärter an jenem Morgen Franks Zelle auf. Einer trug seine Hirschlederjacke auf den Händen, als wäre es ein Stück vom wahren Kreuze. Um neun traf Frank in dem Hüttenlager ein, bereit, den Retter zu spielen. Was er dort vorfand, war der kläglichste Ersatz für eine Polizeitruppe bei der Arbeit auf dem schlampigsten Tatort seines Lebens.
    Leichen, Gliedmaßen und Köpfe der Opfer waren wie Puzzleteilchen zusammengewürfelt worden, alle wichtigen Zeugen entweder verschwunden, erschöpft oder hysterisch, und der schlammige Boden war zu Morast zertrampelt. Franks Lebensgeister, die sich hoch in die Lüfte aufgeschwungen hatten, als der Gefängnisdirektor ihm die Abmachung dargelegt hatte, sanken auf Höhe des Meeresspiegels herab. Fünf Jahre Gefängnis, und plötzlich merkte er sein Alter: Vierzig war alt hier draußen, und ein neuer Menschenschlag war dabei, den Westen zu übernehmen, Kerle wie die hier, Geschäftsleute und Schreibtischhengste. Einer der letzten echten Revolvermänner, John Wesley Hardin, war im August in El Paso erschossen worden. Von hinten abgeknallt. Buckskin hatte es als echten Verlust empfunden, als er die

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