Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
Sehenswürdigkeit ist.«
    Eiswasser hätte nicht wirkungsvoller sein können; Jacob war auf der Stelle hellwach. »Was für eine Burg?«
    Bevor sie antworten konnte, durchschnitt ein scharfer Pfiff das Getöse auf dem Bahnhof. Sie schaute zu Rymer und den Zügen hinüber; fünfzig Schritt weiter war hinter ein paar Baumwollballen irgendein Aufruhr im Gange. Sie sah, wie Leute auf das Treiben zuliefen. Ein Kampf?
    Zwei Wachen rannten hinter ihnen zum Bahnhof hinaus; Eileen und ein paar andere Reisende wiesen ihnen den Weg zu den Baumwollballen. Die Wachmänner bliesen in ihre Pfeifen und zogen im Laufen ihre Pistolen. Irgendwo fiel ein Schuß. »Was ist los?« fragte sie. »Ich weiß es nicht«, sagte Jacob.
    »Wo geht’s zum Dach?« fragte Sparks.
    »Ich zeig’s Ihnen«, sagte Stern. »Was ist mit den Büchern?«
    »Nehmen Sie beide mit«, sagte Doyle. »Ich dachte, wir wollen ihnen die Kopie überlassen«, sagte Stern.
    »Wollen wir auch, aber es soll nicht zu leicht aussehen«, sagte Sparks.
    »Noch wissen wir nicht mal, ob es dieselben Leute sind«, sagte Doyle.
    Schritte polterten die Treppe herauf. Stern schob das echte Sohar in eine abgegriffene Ledertasche, und Jack nahm die Kopie.
    »Und wir haben keine Lust, zu warten und es herauszufinden – also wohin?« fragte Jack.
    »Folgen Sie mir«, sagte Stern. Er klemmte sich das Gerona Sohar wie einen Football unter den Arm und führte sie durch ein Gewirr von engen, durch Türen und winzige, L-förmige Korridore miteinander verbundenen Zimmern zu einer selten benutzten Hintertreppe.
    »Sie«, das waren die »Houston Dusters«, eine Straßenbande, die wegen ihrer überbordenden, beispiellosen Gewalttätigkeit gefürchtet war, und das, obwohl die Revierkriege in der Stadt inzwischen über jedes bisherige Maß hinausgingen. Eine Generation lang hatten die Dusters die Lower East Side von der Houston Street bis zum East Broadway regiert, aber stets traten neue Gangs auf den Plan und stellten ihre Gebietsgrenzen in Frage. Dazu kamen ihre traditionellen Gegner: etablierte Organisationen wie die Gophers, die Five Pointers, die Fashion Plates und die aufstrebenden Tongs der Chinatown.
    Wirtschaftliche Not, der Zusammenbruch der Familienstrukturen bei den Immigranten – fast alle Dusters waren Iren der ersten oder zweiten Generation – und das Unvermögen der Gesellschaft, den Benachteiligten einen legitimen Halt zu geben, trug zweifellos zum Aufblühen der Bandenkultur bei, aber wenn man zum Kern der Sache vordrang, waren die Dusters eine Meute von nichtsnutzigen Rabauken, und dies war ein Charakterzug, der sich noch nie als abträglich erwiesen hatte, wenn man in New York vorankommen wollte. Schon früh hatten sie ihre Lektion gelernt: Eine Verbrecherlaufhahn mochte ein wenig reputierlicher Weg zu Wohlstand und zum American Dream sein, aber es war eine Abkürzung, auf der starker Verkehr herrschte.
    Die Dusters, inzwischen eine kaum mehr zu übersehende Größe in ihrem Bezirk, weit über zweihundert an der Zahl, verständigten sich mit einem Vokabular aus wilden Kriegsschreien, inspiriert von den Indianern, die ihr Anführer einmal in ›Buffalo Bill Cody’s Wild West Extravaganza‹ im Madison Square Garden gesehen hatte. Die smarteste aller East-Side-Gangs trug runde, dick gepolsterte Lederkappen, die bis über die Ohren herabreichten und zugleich als Schutzhelme dienten, genagelte Stiefel mit Stahlkappen -mit denen man um so besser zutreten konnte – und Hosen mit einem grellroten Längsstreifen an der Seite, der ihre Schnellfüßigkeit symbolisieren sollte. Messer, betongefüllte Bleirohre und selbstgemachte Totschläger waren die Waffen ihrer Wahl; nach dem verqueren Ehrenkodex der Banden galt es als feige Methode zur Beilegung eines Streits, wenn man den Gegner aus der Ferne erschoß. Blut an den Händen, das war das Motto der Dusters.
    Seit neun Jahren standen die Dusters unter dem Kommando eines skrupellosen Wiesels mit bösartigem Blick namens Ding-Dong Dunham, und seine Amtszeit war für die Verhältnisse im Bandenwesen ungewöhnlich dauerhaft. Ding-Dong hatte sich von ganz unten an die Spitze durchgebissen, ausgestattet mit dem Vorteil des Soziopathen, für den ein Menschenleben keinen Pfifferling wert ist. Sein Spitzname rührte von dem Gruß, den Dunham seinen Raubopfern genüßlich in die Ohren krähte, nachdem sein dornenbewehrter Schlagstock auf ihren Kopf geprallt war. Auch pflegte er epische Gedichte über die fantasievolleren Bluttaten zu

Weitere Kostenlose Bücher