Im Zeichen der Wikinger
vermutlich Recht hatte. »Okay, und was mache ich, wenn ich oben bin?«
»Wir müssen zuallererst eine Verbindung hier runterlegen, um für frische Atemluft zu sorgen.«
»Und woher soll ich den hundertfünfzig Meter langen Schlauch und die Pumpe nehmen, die stark genug ist, um sechshundertsiebzehn Mann mit Luft zu versorgen, bis man sie retten kann? Und wie soll ich ihn an das gesunkene Boot anschließen?«
Pitt schaute seinen alten Freund, den er seit fast vierzig Jahren kannte, grinsend an. »Wie ich dich kenne, fällt dir bestimmt was ein.«
31
Innerhalb von fünf Stunden trafen vier Schiffe an der Stelle ein, an der die
Golden Marlin
gesunken war. Der Kutter
Joseph Ryan
von der Küstenwache, der Öltanker
King Zeus
, der Hochseeschlepper
Orion
von der US-Navy und der Küstenfrachter
Compass Rose.
Bald darauf wurden sie von einer Flotte von Segel- und Motorbooten aus Miami und Fort Lauderdale umlagert, die sich eher aus Neugier als aus Hilfsbereitschaft einfanden. Admiral Sandecker hatte ein in Savannah liegendes Bergungschiff der NUMA losgeschickt, das aber erst in zwölf Stunden vor Ort sein konnte.
Das Tiefseerettungsboot
Mercury
samt Besatzung wurde mittlerweile von seinem Mutterschiff, der
Alfred Aultman
, mit voller Fahrt von Puerto Rico aus, wo es eben noch an einer Übung teilgenommen hatte, zur Unfallstelle gebracht. Kapitän Baldwin stand über den Kutter der Küstenwache bereits in ständigem Funkkontakt mit dem Kapitän der
Aultman
und konnte ihm die Lage auf dem Boot in allen Einzelheiten schildern.
Unterdessen wurden drunten auf der
Golden Marlin
die Mütter mit ihren Kindern in die Rettungskapsel verfrachtet, nachdem O’Malley die schadhafte Schaltung repariert hatte.
Unter Tränen nahmen sie Abschied von ihren Männern, den Vätern, mitunter auch den Großeltern. Etliche Kinder schrien Zeter und Mordio, als sie in die enge Kapsel steigen sollten, und wollten sich um nichts auf der Welt wieder beruhigen.
Giordino, der sich darum bemühte, die schreienden Bälger und ihre Mütter zum Schweigen zu bringen, wirkte bedrückt wie selten zuvor. »Ich komme mir wie jemand vor, der sich in Frauenkleidern in ein Rettungsboot der
Titanic
schleicht.«
Pitt legte ihm den Arm um die Schulter. »Du wirst bei der Rettungsaktion da droben dringend gebraucht.«
»Aber dass du mir ja durchkommst, hast du gehört«, erwiderte Giordino. »Ich halte das sonst nicht aus. Wenn irgendwas schief geht, und du schaffst es –«
»Ich werde es schon irgendwie schaffen«, versicherte ihm Pitt. »Aber nur, wenn du die Rettungsaktion da droben leitest.«
Sie gaben sich noch einmal die Hand, dann schob Pitt ihn auf den letzten freien Platz in der Rettungskapsel. Er konnte sich kaum ein kurzes Grinsen verkneifen, als eine genervte Mutter ihr plärrendes Kind in Giordinos offene Arme warf. Der taffe kleine Italiener, der sich sichtlich unwohl fühlte, sah aus, als säße er auf Glasscherben. Noch nie hatte Pitt ihn mit einer solchen Leidensmiene erlebt wie in diesem Moment, als sich zischend die Einstiegsluke der Rettungskapsel schloss und der Abschussmechanismus aktiviert wurde. Sechzig Sekunden später zündeten die Pressluftdüsen, und die Kapsel war auf dem Weg nach oben, auch wenn sie langsam aufstieg, weil sie bis an die Belastungsgrenze beladen war.
»Jetzt können wir nur noch abwarten«, sagte O’Malley, der hinter Pitt stand.
»Nein«, widersprach Pitt. »Wir bereiten schon mal alles Notwendige vor.«
»Wo fangen wir an?«
»Bei der Luftschleuse.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Kann ein Rettungstauchboot der Navy an der Luke andocken?«
O’Malley nickte. »Ich weiß genau, dass man sich beim Bau an die technischen Daten der Navy gehalten hat, damit deren Tauchboote und Rettungsglocken im Notfall andocken können.«
Pitt war bereits an der Tür. »Bringen Sie mich hin. Ich will es mir selber ansehen.«
O’Malley brachte ihn mit dem Fahrstuhl zum Oberdeck, auf dem sich der Speisesaal befand, und führte ihn durch die Küche, zwischen dem Küchenpersonal hindurch, das hier kochte und vorbereitete, als ob das Schiff noch immer auf Kreuzfahrt wäre. Es war ein aberwitziger Anblick, jedenfalls in Anbetracht der Umstände. Pitt folgte dem Schiffsingenieur über eine schmale Leiter in eine enge Kammer, deren Wände von Sitzbänken gesäumt waren. Über einem Podest in der Mitte befand sich eine Leiter zu einer etwa anderthalb Meter breiten Röhre, die zu der Ausstiegsluke führte. O’Malley kletterte
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