Im Zeichen der Wikinger
sprechen.
»Vater hat nie erklärt, weshalb er sich so für die Inschriften auf den Runensteinen interessierte«, sagte Kelly. »Mutter und ich haben ihn auf seinen Reisen immer begleitet, aber uns ging es mehr um den Spaß, um das Campen in freier Natur und die Wanderungen als um die Suche nach alten Steinen mit Schriftzeichen.«
»Dr. Egans Bibliothek steht voller Bücher über die Wikinger, aber wir fanden keinerlei Notizen oder Aufzeichnungen von ihm«, fügte Pitt hinzu.
»Nordmänner, Mister Pitt«, berichtigte ihn Marlys. »Wikinger ist nur eine Bezeichnung für die wilden, furchtlosen Krieger, die sich als Seeräuber betätigten. Mehrere Jahrhunderte später hätte man sie vermutlich Piraten oder Korsaren genannt. Das Zeitalter der Wikinger brach an, als sie im Jahr 793 das Kloster Lindisfarne in England überfielen. Wie Gespenster kamen sie aus dem Norden und verwüsteten und plünderten die englische und die schottische Küste, bis Wilhelm der Eroberer, dessen Vorfahren ebenfalls Nordmänner oder Normannen waren, die Schlacht von Hastings gewann und König von England wurde. Ab dem Jahr 800 tauchten Wikingerflotten in ganz Europa und im Mittelmeer auf. Ihre Blütezeit währte nur kurz, und im dreizehnten Jahrhundert schwand ihre Macht schon wieder. Ihre Zeit war endgültig abgelaufen, als 1450 die letzten Nordmänner schließlich Grönland verließen.«
»Irgendeine Ahnung, weshalb man im Mittleren Westen so viele normannische Runensteine gefunden hat?«, erkundigte sich Giordino.
»In den nordischen Sagas, vor allem in den isländischen, wird von einem Seefahrervolk und Bewohnern von Island und Grönland berichtet, die zwischen dem Jahr 1000 und 1015 Kolonien an der Nordostküste der heutigen Vereinigten Staaten gründen wollten. Wir müssen davon ausgehen, dass sie zu Erkundungsfahrten bis tief in das Herz des Kontinents aufbrachen.«
»Aber der einzige wirkliche Beweis dafür, dass sie nach Nordamerika kamen, ist doch ihre Siedlung bei L’Anse aux Meadows in Neufundland«, sagte Pitt.
»Wenn sie nach Frankreich, Russland, England, Irland und bis an die entlegensten Gestade des Mittelmeeres segelten und sich dort niederließen«, entgegnete Marlys, »ist zu vermuten, dass sie ohne weiteres auch über den St.-Lorenz-Strom oder entlang der Küste von Florida, durch den Golf von Mexiko und den Mississippi aufwärts ins amerikanische Binnenland vorgedrungen sein könnten. Über die Flüsse und Wasserwege konnten sie weite Gebiete des Landes erkunden.«
»Worauf die Steine mit den Runenzeichen hindeuten, die sie hinterließen«, warf Giordino ein.
»Nicht nur die der Nordmänner«, sagte Marlys. »Zahlreiche Völker aus der Alten Welt kamen lange vor Leif Eriksson und Christoph Kolumbus nach Amerika. Alte Seefahrer aus etlichen Kulturkreisen segelten über den Atlantischen Ozean und erkundeten unsere Küsten. Wir haben Steine mit ägyptischen Hieroglyphen, zyprischer Schrift, nubischen Buchstaben und Zahlen, punisch-karthagischen Zeichen und iberischem Ogham gefunden. Weit über hundert Steine, die mit dem Ogham-Alphabet beschriftet waren, das hauptsächlich von den Kelten in Schottland, Irland und auf der Iberischen Halbinsel verwendet wurde, hat man entdeckt und übersetzt. Das ganze Land ist regelrecht übersät mit Steinen, in die Schriftzeichen eingehauen sind, deren Herkunft erst noch festgestellt werden muss. Möglicherweise sind bereits vor viertausend Jahren alte Völker durch unser Heimatland gezogen.« Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein. »Und die Inschriften machen nur die eine Hälfte der Funde aus.«
Kelly starrte sie ungläubig an. »Es gibt noch mehr?«
»Die Petroglyphen«, schlug Pitt vor.
»Die Petroglyphen«, wiederholte Mary nickend. »Es gibt Hunderte von Beispielen, die erfasst wurden. In Stein gehauene Abbildungen von Schiffen, Tieren, Göttern und Göttinnen, bärtigen Männern, die genauso aussehen wie alte Griechen, Köpfen, die fast identisch mit denen sind, wie sie zur klassischen Zeit rund um das Mittelmeer entstanden. Fliegende Vögel waren anscheinend besonders beliebt, desgleichen Pferde und Boote. Es gibt sogar Petroglyphen, auf denen Tiere dargestellt sind, die es in Amerika nicht gab, zum Beispiel Nashörner, Elefanten und Löwen. Zahlreiche Abbildungen haben offenbar eine astronomische Bedeutung, stellen sie doch Himmelskörper und Sternbilder in einer Position dar, wie sie sich dem Betrachter vor Tausenden von Jahren präsentiert haben dürften.«
»Wie
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