Im Zeichen des Adlers
daß er Lilith für tot hielt, untergegangen mit der Hermetischen Stadt, die durch seine verbotene Kelchtaufe erst entstanden war.
Nun, er sollte sich noch wundern! Sie würde ihn bezahlen lassen für das, was er ihr angetan hatte. Nur . wann?
Lilith senkte den Blick. Im Grunde hatte sich an ihrer mißlichen Lage nicht allzu viel geändert. Wohl wußte sie nun einiges aus ihrer Vergangenheit, über ihr Leben und Wesen - doch zu großem Nutzen gereichte ihr dieses Wissen nicht.
In ihre australische Geburtsstadt Sydney zurückzukehren, kam kaum in Frage. Dort war sie vor einigen Wochen erst gewesen, und die Reise dorthin hatte ihr nichts gebracht - abgesehen davon, daß Landru den einzigen Menschen getötet hatte, der Lilith kannte und zumindest so etwas Ähnliches wie ein Freund gewesen war ...
Vielleicht sollte sie - »Lilith?«
Erschrocken sah sie auf, als die Stimme an ihr Ohr drang.
»Lilith Eden?«
»Wer -?« Sie wandte den Kopf - und sah ihn. Nur - wer war er?
»Du bist es«, entfuhr es dem Fremden. ( Fremder? raunte es in Lilith. Ist er das - ein Fremder? Kommt er dir nicht - bekannt vor? Vertraut?)
Aber - wie war er hierhergekommen? Lilith hatte weder Schritte noch sonst ein verräterisches Geräusch vernommen. Er stand da wie aus dem Boden gewachsen . Seine Füße lösten sich scheint's zäh von Gras und Erde, als er nähertrat.
Wäre er in besserer Verfassung gewesen - weniger schmutzig, anders gekleidet als in einen zerrissenen Anzug -, so hätte er sicher gut ausgesehen. Nun war er auch jetzt weder abstoßend noch häßlich, aber er wirkte eben - ungepflegt, als habe er viele Tage und Nächte in seiner Kleidung zugebracht, ohne auch nur mit Wasser in Berührung gekommen zu sein. Erdklumpen hingen in seinem langen schwarzen Haar, und auf seinem nackten Oberkörper zeigten sich blutige Striemen.
»Wer bist du?« fragte Lilith endlich, lahm jedoch, weil ihre Zunge und Gedanken gleichermaßen von bleierner Schwere schienen.
»Du - du kennst mich nicht?« entgegnete er und kam näher. Etwas in seinen Zügen und in seinen Augen veränderte sich - und es beunruhigte Lilith auf nicht in Worte zu fassende Weise. Gefahr! signali-sierte ihr Instinkt nur, ohne daß sie den konkreten Grund der Bedrohung erfuhr.
Etwas Verschlagenes stahl sich in das Mienenspiel des anderen, sichtlich mühsam kaschiert, aber nicht zu leugnen.
»Nein«, erwiderte Lilith.
»Dann solltest du mich kennenlernen«, meinte er. »Auf eine Art, wie du mich noch nicht kanntest!«
Seine Züge entgleisten vollends. Sein Gesicht wurde zur Fratze, seine Zähne zu Fängen. Gier ließ seinen Blick entflammen, und heisere Laute stiegen aus seiner Kehle - - als er sich auch schon auf Lilith stürzte!
Sie wollte ausweichen, war jedoch nicht schnell genug; zudem fühlte sie sich noch längst nicht kräftig genug, um einen wie auch immer gearteten Kampf aufzunehmen.
Und so vermochte sie kaum etwas zu ihrer Gegenwehr zu unternehmen, als der andere sie zu Boden rang und seine spitzen Zähne ihren Hals verletzten.
Gleich mußte er ihre Schlagader zerfetzen -!
Doch soweit kam es nicht ...
... denn etwas ganz und gar anderes geschah.
Gabriels Saat des Bösen ging auf!
Er hatte Hidden Moon mit seinem Seelentier zusammengebracht. Und das Böse, das sich seit Wochen in Hidden Moon angestaut hatte, floh in einem einzigen, brachialen Augenblick aus ihm .
*
Lilith empfing einen ganz und gar merkwürdigen Eindruck tief aus ihrem Innersten: Es kam ihr vor, als gebe es dort ein Gefäß, das von fremder Macht gefüllt würde - mit einer solchen Menge jedoch, daß es überlief .
... und schließlich zersprang! Auseinander barst!
Was immer hineingegeben worden war - und dessen Strom noch längst nicht versiegte! - ergoß sich nun in sie selbst und füllte sie an, weil nunmehr sie selbst die Rolle des zerstörten Gefäßes übernahm!
Lilith meinte, in schwarzen Fluten zu ersaufen, und zugleich schien die Welt in einer Explosion zu vergehen, in der alle Farben wie auf einer Negativaufnahme ins Gegenteil verkehrt waren. Jeder Nerv straffte sich unter ungeheuerlicher Spannung, und ihr Blut kochte und toste in einem Maße, daß es die Adern zu sprengen drohte.
Und dann -
- war es vorbei. So überraschend, wie es begonnen hatte. Der Sturm in ihr verebbte nicht allmählich, er schlief ein, von einem Augenblick zum nächsten.
Aber er hatte Lilith verändert. Verwüstet. Verheert. Ihr Empfinden, ihre Einstellung - alles, was von Belang war, hatte sich
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