Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
verkniff sich die Bemerkung, gehört zu haben, dass Baptisten den Genuss von Alkohol verpönen. Seltsam, dabei hatte Jesus auf der Hochzeit von Kana mit der Verwandlung von Wasser in Wein sein erstes Wunder vollbracht. Aber das Christentum zeigte halt viele Gesichter. Jedenfalls war Mao-tai ein übles Gesöff, schlimmer als der billigste Grappa. Mit fortschreitendem Alter bevorzugte der Kardinal mildere Getränke, die bekömmlicher waren.
»Eigentlich dürfte ich so etwas gar nicht trinken«, gestand Yu, »aber es gehört gewissermaßen zu meinem kulturellen Erbe.«
»Mir ist keine Stelle in der Heiligen Schrift bekannt, die diese menschliche Schwäche geißelt«, sagte der Katholik. Außerdem war Wein materieller Bestandteil der katholischen Liturgie. Ihm fiel auf, dass sein chinesischer Gastgeber sehr vorsichtig an der winzigen Tasse nippte. Vielleicht wollte er seinen Magen schonen, dachte der Italiener.
Er selbst würde sich an das Essen gewöhnen müssen. Renato Kardinal DiMilo war wie so viele Italiener ein Feinschmecker und fand das Pekinger Angebot an Speisen bei weitem nicht so gut wie die das der zahlreichen chinesischen Restaurants in Rom. Das lag, wie er vermutete, weniger am Koch als an der Qualität der Zutaten. Und in diesem Fall hatte sich die Köchin des Hauses, nämlich Pastor Yus Frau, entschuldigen lassen. Sie war in Taiwan bei ihrer kranken Mutter. Monsignore Schepke trug statt ihrer das Essen auf, was er wie ein junger Adjutant tat, der seinen General bediente, dachte Yu, amüsiert über die Szene. Wie auch immer, dieser Renato war ein anständiger Kerl, sehr gebildet, wie man merkte, und ein versierter Diplomat, von dem sich Yu einiges zu lernen versprach.
»Sie kochen also selbst. Woher haben Sie das?«
»Die meisten chinesischen Männer können kochen. Sie haben es als Kinder von den Eltern gelernt.«
DiMilo lächelte. »Ich kann’s eigentlich auch, hab mich aber seit Jahren nicht mehr an den Herd gestellt. Je älter ich werde, desto weniger lässt man mich selbst tun, nicht wahr, Franz?«
»Auch ich habe meine Pflichten, Eminenz«, entgegnete der Deutsche. Er trank Mao-tai mit Gusto. Schön, so jung zu sein und eine feste Magenschleimhaut zu haben, dachten die beiden älteren Männer.
»Wie gefällt Ihnen Peking?«, erkundigte sich Yu.
»Wirklich faszinierend. Wir Römer halten unsere Stadt für besonders geschichtsträchtig, dabei war die chinesische Kultur bereits in voller Blüte, als die alten Römer gerade die ersten Steine aufeinander setzten. Und die Kunst, die wir gestern gesehen haben ...«
»Den Jadeberg«, erklärte Schepke. »Ich habe mit der Führerin gesprochen, aber sie konnte uns nicht sagen, wie viele Künstler an dem Werk beteiligt waren, wie sie hießen oder wie lange sie dafür gebraucht haben.«
»Namen von Künstlern oder Zeitaufwand – das waren für die Herrscher von einst völlig unerhebliche Fragen. Ja, es gab viel Schönes damals, aber auch viel Grausamkeit.«
»Und heute?«, fragte Renato.
»Heute auch, wie Sie wissen, Eminenz«, bestätigte Yu mit langem Seufzen. Sie sprachen englisch, und Yus Oklahoma-Akzent amüsierte die Besucher. »Der Regierung fehlt es an Respekt für das einzelne Menschenleben.«
»Das zu ändern wird nicht einfach sein«, behauptete Monsignore Schepke. Grausamkeit war kein typisches Merkmal der Volksrepublik, sondern schon lange Bestandteil der chinesischen Kultur. Jemand hatte einmal gesagt, dass China zu groß sei, als dass man es mit Freundlichkeit regieren könne. Diese Sentenz war von den Linken der Welt eilfertig aufgegriffen worden, ungeachtet der rassistischen Implikationen einer solchen Äußerung. Vielleicht war China immer schon übervölkert. Wo sich Menschen drängen, nehmen Aggressionen überhand und es schwindet die Achtung vor dem anderen. Konfizius, der chinesische Moralapostel, lehrte Konformität als höchste Tugend. Während in der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes Wert auf die transzendentale Unterscheidung von gut und böse gelegt wurde, woraus sich die Menschenrechte entwickelten, galt in China seit jeher nicht Gott, sondern die Gesellschaft als höchste Autorität. Eben darum, dachte Kardinal DiMilo, hatte der Kommunismus hier Wurzeln fassen können. Beiden Systemen war das Fehlen einer absoluten Norm gemein. Dieser Relativismus barg große Gefahr, denn wo der absolute Maßstab fehlte, wurde letztlich nicht einmal mehr unterschieden zwischen Mensch und Hund. Worin bestand dann
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