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Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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menschliche Würde, wenn es diese Unterscheidung nicht gab? Selbst Atheisten mussten den Religionen konzedieren, dass sie den Gemeinschaften der Menschen das größte aller Geschenke machten, damit nämlich, dass sie eine Vorstellung von Menschenwürde vermittelten, vom Wert des individuellen Lebens und davon, dass der Mensch höher rangierte als ein Hund. Das war eigentliche die Grundlage für Fortschritt. Ohne sie war ein Menschenleben auf die von Thomas Hobbes formulierten Attribute ›hässlich, viehisch und kurz‹ reduziert.
    Das Christentum – aber auch das Judentum und der Islam als biblische Religionen – verlangte nur zu glauben, was ohnehin evident schien: dass das Universum geordnet war und dass diese Ordnung eine Ursache hatte, die Gott genannt wurde. Worauf es dem Christentum aber vor allem ankam – mittlerweile jedenfalls –, war weniger die Vorstellung als solche denn vielmehr deren Quintessenz und Resultat, nämlich der Glaube an Menschenwürde und Fortschritt. War das so schwer?
    Für manche offenbar. Indem er Religion als ›Opium des Volkes‹ ablehnte, verschrieb sich der Marxismus lediglich einer anderen, weniger wirksamen Droge – der Hoffnung auf eine ›strahlende Zukunft‹, wie es die Russen genannt hatten. Doch die blieb bis auf Weiteres aus. Um ihre Wirtschaft zu retten, kamen die Marxisten in China auf die Idee, Formen des Kapitalismus zu adaptieren, aber das Prinzip der Freiheit, das ihm eigen ist, auszuklammern. Das hatte bis zu einem gewissen Punkt auch funktioniert, dachte DiMilo, und zwar vor allem dank der chinesischen Tugenden von Konformität und Gehorsam. Aber wie lange würde das noch gutgehen? Wie lange würde noch zu verhindern sein, dass sich auch hier abendländische Moralbegriffe durchsetzten? China und die Chinesen wären verloren, wenn sie sich nicht bald für die frohe Botschaft Jesu öffneten. Denn sie brachte nicht nur ewiges Heil, sondern auch diesseitiges Glück. Was für ein schönes Geschäft! Doch das wollte man hier immer noch nicht wahrhaben. Mao hatte jegliche Form von Religion zurückgewiesen – darin war er Konfuzius und auch Buddha gefolgt. Doch was hatte der Vorsitzende auf seinem Sterbebett gedacht? Welcher strahlenden Zukunft sah er sich da gegenüber? Was ging einem Kommunisten angesichts des Todes durch den Kopf? Natürlich wusste keiner der drei Geistlichen darauf eine Antwort, das wollten sie auch gar nicht.
    »Ich bin enttäuscht darüber, hier nur so wenige Katholiken anzutreffen, abgesehen natürlich von den Ausländern und Diplomaten. Haben Sie sehr unter Verfolgung zu leiden?«
    Yu zuckte mit den Achseln. »Das hängt vom politischen Klima und von denjenigen ab, die in den einzelnen Regionen das Sagen haben. Manchmal haben wir das Glück, dass man uns in Frieden lässt, vor allem dann, wenn sich Ausländer mit Fernsehkameras in der Nähe aufhalten. Dann aber gibt es wiederum Zeiten, wo man uns schikaniert und demütigt. Ich selbst bin schon häufig verhört worden und Gegenstand politischer Beratungen gewesen.« Er blickte auf und lächelte. »Es ist, wie wenn man von einem Hund angebellt wird, Eminenz. Auf eine Antwort kommt es nicht an. Keine Angst«, fügte der Baptist, an DiMilo gewandt, hinzu. »Sie haben so etwas gewiss nicht zu befürchten.«
    Dem Kardinal stieß diese Bemerkung unangenehm auf. Er hielt sein Leben nicht für wertvoller als das von anderen. Auch wollte er nicht, dass sein Glaube weniger standhaft erschien als der dieses chinesischen Protestanten, der an einer prätentiösen Pseudo-Universität in der amerikanischen Prärie studiert hatte, während er, Renato, an einer der ältesten und angesehensten Stätten der Gelehrsamkeit ausgebildet worden war, an einem Institut, dessen Vorbilder bis auf die Schule des Aristoteles zurückreichten. Wenn Renato Kardinal DiMilo in einer Hinsicht eitel war, dann in der, was seine Ausbildung anging. Er konnte auf Altgriechisch Platos Politeia nacherzählen oder die Rechtsfälle des Marcus Tullius Cicero in der lateinischen Sprache erörtern. Er konnte sich in Marx’ Muttersprache mit eingefleischten Marxisten über dessen politische Philosophie diskutieren und auf die ungestopften Löcher in diesem theoretischen Überbau hinweisen. Über die menschliche Natur wusste er mehr zu sagen als die meisten Psychologen. Er war im diplomatischen Dienst des Vatikans, weil er Gedanken lesen konnte, nicht zuletzt die von Politikern und Diplomaten, die sich darauf verstanden, ihre Gedanken

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