Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
schon fast zur Routine geworden, die Golowko wie viele seiner Kollegen kaum mehr zur Kenntnis nahm, weil es genügend andere Probleme gab, um die er sich kümmern musste. »Auf diplomatischer Ebene ist zwischen unseren Ländern alles in Butter.«
»Genosse Minister, ich bin kein Diplomat und auch kein Geheimdienstler, habe aber ein wenig aus unserer Geschichte gelernt. Ich erinnere mich, dass die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Nazi-Deutschland bis zum 22. Juni 1941 auch ganz gut gewesen sind. Noch kurz vorher war ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnet worden. Diplomatische Beziehungen sind offenbar kein verlässlicher Anzeiger für die wahren Intentionen einer Staatsmacht.«
»Zugegeben, deshalb unterhalten wir auch einen Geheimdienst.«
»Und vielleicht erinnern auch Sie sich daran, dass die Volksrepublik schon seit langem voller Neid auf unsere Bodenschätze in Sibirien schielt. Mit den neuen Funden ist dieser Neid bestimmt noch größer geworden. Wir haben darüber zwar noch nicht öffentlich Auskunft gegeben, doch es ist wohl anzunehmen, dass der chinesische Geheimdienst auch hier in Moskau seine Quellen hat, oder?«
»Jedenfalls ist eine solche Möglichkeit nicht auszuschließen«, räumte Golowko ein. Den Chinesen leisteten aller Wahrscheinlichkeit nach manche altkommunistischen Betonköpfe Spitzeldienste, Leute, die den Untergang des Sowjetstaates beklagten und in China die letzte Bastion des wahren Marxismus-Leninismus sahen, auch wenn Mao seinen Teil dazugegeben hatte. Damals hatten auch Bondarenko und Golowko der Partei angehört, denn ohne Mitgliedschaft wäre in der Roten Armee kein Aufstieg möglich gewesen, und im KGB erst recht nicht. Beide hatten brav an den wichtigen Parteisitzungen teilgenommen, ihre Pflichtbeiträge geleistet und ansonsten die anwesenden Frauen begafft oder in den Tag geträumt. Es hatte jedoch auch solche Genossen gegeben, die mit Feuereifer bei der Sache gewesen waren und den politischen Unsinn, der da verzapft worden war, tatsächlich geglaubt hatten. Bondarenko und Golowko waren dagegen immer schon Pragmatiker gewesen, an der konkreten, greifbaren Realität interessiert und nicht an Begriffen oder Theoriemodellen, die irgendwann einmal Wirklichkeit zu werden versprachen. Glücklicherweise hatten beide dann Berufe annehmen können, die besonders realitätsbezogen waren, aber dennoch Raum für intellektuelle Exkursionen boten, denn Männer mit Visionen wurden überall gebraucht. »Wie auch immer, Sie können sich darauf verlassen, dass Ihnen für eine erfolgreiche Arbeit ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden.«
Der General zweifelte daran und nahm im Stillen Bestand auf. Was würde er haben? Sechs Schützendivisionen, eine Panzerdivision sowie die dazugehörige Divisionsartillerie, alles Einheiten aus mehr oder weniger gut ausgebildeten Berufssoldaten und einer geschätzten Kampfkraft von rund 70 Prozent. Seine erste und gewiss nicht leichte Aufgabe würde darin bestehen, diese Jungs in Uniform auf Vordermann zu bringen, auf den Stand ihrer Vorgänger aus der Roten Armee, die die Deutschen bei Kursk hatten bezwingen und Berlin einnehmen können. Das zu schaffen wäre ein Heldenstück, aber wer, wenn nicht ich, hätte dazu das Zeug? , fragte sich Bondarenko. Es gab einige viel versprechende junge Offiziere (wovon er vielleicht einen in seinen Stab holen würde), aber aus seiner Altersgruppe kannte Gennadi Josifowitsch Bondarenko keinen General, der ihm das Wasser reichen konnte. Nun, jetzt hatte er Befehlsgewalt und die Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Natürlich riskierte er auch, zu versagen, doch wo andere Gefahren sahen, sah ein Mann wie er vor allem Chancen.
»Ich darf doch annehmen, dass ich freie Hand habe, nicht wahr?«, fragte er.
»Gewiss«, antwortete Golowko. »Aber es wäre schön, wenn Sie da unten nicht auf eigene Faust Krieg führten.«
»Ich habe nicht vor, nach Peking zu fahren. Was man da zu essen kriegt, schmeckt mir nicht«, scherzte Bondarenko. In Gedanken war er schon bei der Truppe. Er sah die potentielle Kampfkraft russischer Soldaten über jeden Zweifel erhaben. Sie brauchten nur gutes Training, geeignetes Gerät und eine starke Führung. Für zwei dieser Voraussetzungen würde er sorgen können, und das sollte fürs Erste reichen. Wie mochte sein Quartier im Fernen Osten wohl aussehen? Was für ein Stab würde ihm zur Seite stehen? Wessen Posten übernahm er da eigentlich? Es gab dort bestimmt jede
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